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Akupunktur, die Grande Dame der Naturheilverfahren, in der Tiermedizin - Möglichkeiten und Grenzen

Jahrtausende alt und aktuell wie nie

Dr. Christina Eul-Matern, Idstein

Die Schulmedizinische Wissenschaft ist dazu übergegangen, die Funktionen von Körper und Geist in kleinste Teile zu zerlegen und sie wie mit dem Vergrößerungsglas und getrennt von anderen Vorgängen zu betrachten. Dies ist eine durchaus sinnvolle Vorgehensweise, wenn es darum geht, mehr über einzelne Prozesse oder einzelne Krankheitsursachen herauszufinden.

Die „Wirklichkeit“ der Prozesse, die sich im Körper abspielen, kennt aber nur das Ganze. Damit sind nicht nur grob- sondern auch feinstoffliche Vorgänge gemeint.

Auch wenn viele komplementäre oder integrative Techniken nicht den heutigen „Wissenschaftsstandards“ entsprechen, sind doch nur sie in der Lage, der heutigen Medizin das Unpersönlich-Standardisierte zu nehmen und ihr die Individualität zurückzugeben, die die Patient:innen bzw. Tierhalter:innen so vermissen. Hiermit ist gemeint, dass es eine Ebene gibt, in der Kommunikation in der Beziehung zwischen Arzt/Ärztin und Patient:in, Tierarzt/Tierärztin und Tier bzw. auch Tierhalter:in eine Bedeutung hat und die der Medizin die Qualität der Kunst zurückgibt. Und nicht nur das: Zunehmend muss ich nach jahrzehntelanger Praxiserfahrung erleben, dass Tiere in unsere Praxis gebracht werden, nachdem sie in Kliniken eilig und oberflächlich abgehandelt wurden, ohne dass man die Kunst der Untersuchung mit den eigenen Sinnen oder die Kunst des Zuhörens anwendete. Ergebnis können leider fatale Fehlinterpretationen der Situation sein.

Um nur wenige Beispiele zu nennen, sei da das speichelnde Hündchen, bei dem erst eine Laryngitis vermutet wurde, nach ausbleibender Besserung mit Blutbild und Ultraschall des Bauchraumes dann eine Gastritis, deren Therapie auch nichts half. Am Ende fand ich einen dicken, eitrigen Abszess in der Zunge… 

Dann der Rüde mit Verdacht auf eventuell metastasierendes, nicht operables Analbeutelkarzinom, dem Akupunktur des entzündlichen Prozesses in Kombination mit einer Arzneikräuterrezeptur gegen Entzündung und veränderte Zellen zur kompletten Abheilung half. Oder der Kater, der mit Diagnose Nierenversagen zum Sterben nach Hause entlassen wurde und der nach Akupunktur, Infusionstherapie und Arzneikräutertherapie mit Ernährungsumstellung zur Heilung seiner „Mitte“ noch viele Jahre zufrieden lebte. 

Oder die Pferde, denen bei Stoffwechselentgleisungen Futterregulation und Bewegung empfohlen wird, oft ohne zu schauen, wie der Fall im Einzelnen liegt und wo die Zusammenhänge z. B. mit Sommerekzem, Asthma, Leichtfuttrigkeit, Leistungsschwäche und Rehe-Neigung liegen. Auch hier hat sich Akupunktur in Kombination mit Bewegungs- und Futterplan sowie Arzneipflanzentherapie bewährt.

Ja, es ist gut, Leitlinien zu haben und sich auf diese vielfach erprobten Schemata verlassen zu können. Aber was ist mit ärztlicher Kunst und jahrzehntelanger Praxiserfahrung in Kombination mit ständig aktueller wissenschaftlicher Weiterbildung, Verbindung mit Güte, Empathie, Menschlichkeit und das alles in Verbindung mit Verantwortungsbewusstsein? Die Kraft der Berührung ist Bestandteil vieler traditioneller Heilmethoden. Und auch in der klassischen Schulmedizin gibt es noch einige wenige ambitionierte Kolleg:innen, die die Patient:innen manuell untersuchen und auch BeHandlungen im engeren Sinne vornehmen. Die Chinesische Medizin hat diese Berührung allerdings für 1. Diagnose und 2. Therapie perfektioniert. Und das schon seit vielen tausend Jahren.

Aber: Wenn Menschen allein kraft der Berührung, mit oder ohne Akupunkturnadeln heilen möchten, dann brauchen sie heutzutage Ausbildungsinstitute, die alle Ebenen des Wissens mit einbeziehen. Und hier muss eben auch die moderne Wissenschaft mit ihrer rationalen Sichtweise wertgeschätzt und gleichzeitig die unterschiedliche Herangehensweisen der überlieferten Methoden nahegebracht werden. Dies gilt auch für neurologische Hintergründe und vor allem sollte die praktische Übung unbedingt großen Raum bekommen, um im Zusammenhang mit Selbsterfahrung in wechselnden Rollen in geschütztem Rahmen zu trainieren. Hier kann die Rückbesinnung auf alte überlieferte Methoden des Heilens in Kombination mit moderner Wissenschaft ein Katalysator sein und Synergie-Effekte hervorrufen, bei denen eben nicht 1 + 1 = 2 sondern = 3 oder mehr bedeutet.

Alte überlieferte Erfahrungsheilkunde gleichzeitig zu betrachten mit moderner Wissenschaft kann Brücken schlagen über einen gefühlten Graben, der zurzeit noch die beiden Gegenpole unserer Heilkunst voneinander trennt. Der Patient/die Patientin kann nur gewinnen. Tierakupunktur bietet eine solche Möglichkeit. Tierärzte und Tierärztinnen, Tierheilpraktiker und Tierheilpraktikerinnen bekommen die Chance, auf wissenschaftlich fundierter Grundlage zweier wirksamer Heilsysteme sehr effektiv und wirksam zielgerichtete Diagnostik zu betreiben und sinnvoll zu therapieren.

Akupunktur als holistisches Heilverfahren

Anders als im westlich kausal orientierten System, wo Ursache und Wirkung die Hauptkriterien sind, sucht der chinesische Arzt nach den Fäden, die die einzelnen Fehlfunktionen im Organismus verbinden und zu einem gemeinsamen Wirken zusammenfügen. An dieser Stelle setzt er an, um unphysiologische Muster zu erkennen und dem Körper den Weg zurück in gesunde Bahnen zu zeigen. Fehlgeleitete Energien werden wieder in die richtige Richtung gelenkt, dem Körper wird der Weg zur Selbstheilung gezeigt. Wer dann Gesundung als funktionierenden Placeboeffekt bezeichnen mag, sollte doch ernsthaft über die heilende Wirkung dieses Effekts nachdenken.

Durch die Stimulation von Akupunkturpunkten nimmt man Einfluss auf den Verlauf der körpereigenen Energien und aktiviert damit die Selbstheilungskräfte des Organismus. Daher wird die Akupunktur der Regulationsmedizin zugerechnet.

WANN KANN AKUPUNKTUR in der Tiermedizin HELFEN?

  • Atmungsapparat
  • Verdauungsapparat
  • Allergien
  • Urogenitalapparat
  • Hautprobleme
  • Endokrinologische Probleme
  • Sinnesorgane
  • Bewegungsapparat, Schmerzen, Arthrose, Entzündungen, Sehnenprobleme
  • Schock, Atemstillstand, Fieber
  • Immunschwäche
  • psychische Probleme
  • u.v.a.

(diese Liste entspricht nicht exakt der Indikationsliste der WHO)

DIE FUNKTION DER MERIDIANE

Transport von Qi und Blut durch den ganzen Körper und Verbindung aller Körpergewebe zu einer Einheit ist die Aufgabe der Jing Luo, der Meridiane. Außerdem Schutz des Körpers gegen pathogene Faktoren, die von außen eindringen auf den verschiedenen Körperebenen, auf denen die jeweiligen Leitbahnenverlaufen.

Die AKUPUNKTURPUNKTE selbst sind Orte entlang dieser äußeren Meridiane, an denen der Hautwiderstand durch eine höhere Anzahl von Nervenendungen und Kapillaren messbar niedriger ist. Durch Stimulation kann man von hier aus den Energieverlauf im gesamten Organismus beeinflussen.

Was können Akupunkturpunkte?

  • Fülle-Leere ausgleichen
  • Tonisieren / Sedieren
  • Yin nähren
  • Yang heben
  • Hitze-Kälte ausleiten
  • Schleim ausleiten
  • Qi und Blut bewegen
  • Stagnation beseitigen
  • Oberfläche öffnen…

Stimulation von Akupunkturpunkten

  • Fingerdruck
  • Nadeln (Stahl, Gold, Silber, Platin)
  • Kristalle
  • Massage
  • Laser
  • Elektrizität
  • Moxa

DIAGNOSTISCHE PUNKTE

SHUPUNKTE/Zustimmungspunkte sind Punkte entlang des inneren Blasenmeridians links und rechts entlang der Wirbelsäule, von denen aus das Qi direkt zu den zugehörigen inneren Organen fließt. Jeder Hauptmeridian hat hier seinen Zustimmungspunkt. Für Hund und Pferd gibt es zwei unterschiedliche Systeme: Das transponierte, vom Menschen auf das Tier übertragene und das traditionelle, ursprünglich beim Tier entwickelte System. Die International Veterinary Acupuncture Society nutzt das vom Menschen transponierte System. Ungleichgewichte im Meridian sind an den Shu-Punkten sehr einfach durch Druckdolenz ertastbar und therapeutisch sind sie ebenfalls zu nutzen.

MUPUNKTE/Alarmpunkte liegen an der Unterseite des Körpers, dort, wo ungefähr die zugehörigen Organe liegen und sich ihr Qi an den Mu-Punkten sammelt. Head`sche Zonen sind hier eine Entsprechung.

Lebendige Systeme erhalten sich normalerweise selbst im Gleichgewicht. Sie sind in der Lage, rechtzeitig zu erkennen, wo sich ein Ungleichgewicht anbahnt und dieses in Ordnung zu bringen. Allerdings gibt es Umstände, die diese Selbstregulation behindern. Dann ist zum Beispiel Akupunktur ein probates Mittel der Unterstützung.

Fazit

Demut ist ein altmodischer Begriff, aber sie kann auch eine wichtige Quelle der Kraft sein: Die Erkenntnis nämlich, dass wir angesichts völlig unübersichtlicher Zusammenhänge nicht wirklich wissen können, was am Ende geschieht und ob wir eingreifend etwas verändern können. Das kann extrem entlastend und heilsam sein, auch für die Ärzte/Ärztinnen und Tierärzte/Tierärztinnen. Heilung bedeutet ja nicht nur Freiheit von Symptomen, sondern geht viel tiefer.

Und eine Rückbesinnung auf die Integration traditioneller und zum großen Teil uralter und bewährter Heilmethoden wie der Akupunktur kann wunderbare Synergien erzeugen.

Bildnachweise:
Titelbild - Depositphotos/AGTCM
Portraitfoto - Christina Eul-Matern

Dr. Christina Eul-Matern

Dr. Christina Eul-Matern

Tierarztpraxis für integrative Medizin
Dr. Christina Eul-Matern
Walramstr. 22
65510 Idstein

www.pferde-kleintierakupunktur.de
E-Mail: praxis.eul-matern(at)t-online.de

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