Dipl. Oec. troph. Vera Splinter, Neuss
Sellerie schätzten bereits die alten Ägypter als Garten- und Heilkraut, Eier stellten immer schon ein wichtiges Lebensmittel dar und Weizen kultivierten die Menschen schon vor 10.000 Jahren. Sellerie, Ei und Weizen stehen hier stellvertretend für traditionelle Lebensmittel, die nun als Allergieauslöser in einem negativen Fokus stehen. Bei 2-5 % der Menschen in Deutschland lösen Bestandteile dieser Lebensmittel (Allergene) eine allergische Reaktion aus, sie werden vom Immunsystem als Bedrohung wahrgenommen.[1] Jedes Lebensmittel kann allergen wirken, eine kleine Anzahl tritt jedoch häufiger als Auslöser auf. Dabei stehen Kuhmilch und Hühnereier bei Säuglingen und Kleinkindern an oberster Stelle, während pflanzliche Lebensmittel im Erwachsenenalter dominieren.
Stress, Essgewohnheiten ebenso wie überhöhte hygienische Lebensstandards werden als mögliche Ursachen diskutiert. Zu den Risikofaktoren zählen ein unreifes Immunsystem bei Kindern, die zu frühe Aufnahme fester Nahrung, eine Störung der Mikrobiota oder des enteralen Nervensystems. Die Symptome sind individuell und können die Verdauung, den Respirationstrakt, das Herz-Kreislaufsystem oder auch Haut und Gelenke betreffen. Die Bandbreite der Reaktionen reicht von der leichten Einschränkung des Allgemeinbefindens bis zum anaphylaktischen Schock.
Die diagnostische Abgrenzung zur Nahrungsmittelunverträglichkeit (10 - 15 % der Bevölkerung) ist von großer Relevanz. Schließlich liegt bei der Allergie eine Fehlfunktion des Immunsystems vor und eine Anaphylaxie kann zu einer lebensbedrohlichen Reaktion führen. Dennoch zeigt die Beratungspraxis, dass die Abklärung vernachlässigt wird. Nicht selten schränken Patient:innen ihre Nahrungsauswahl ohne qualifizierte Diagnostik ein.
Die Elimination des Allergieauslösers steht aus medizinischer Sicht im Fokus. Eine allgemeine allergenfreie Kostform oder eine "Allergiediät" gibt es nicht.[2] Über Ernährungstagebücher gilt es, die verträgliche Menge des Allergens für die Betroffenen zu ermitteln, ggf. werden Nährstoffe ergänzt. Zunehmend wird dem Darm in diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit geschenkt, da eine erhöhte Durchlässigkeit der Darmschleimhaut es Allergenen erleichtert, in den Körper zu gelangen.
Nicht selten fühlen sich Patient:innen mit der Auswertung ihres Allergietagebuchs überfordert und allein gelassen. In den Beratungsgesprächen zeigen sich allzu oft „Allergie-Karrieren“, eine Unverträglichkeit oder Allergie stand zu Beginn, dann stellten sich weitere ein. Die Beschränkung auf eine Strategie des Vermeidens führt u. U. zu einem einseitigen Speiseplan und begünstigt die Entwicklung von Nährstoffdefiziten, ohne die anhaltende Verbesserung der Beschwerden. Die Freude am Essen wird durch Ängste vor möglichen Folgen verdrängt.
Erweitert man die naturwissenschaftliche Behandlungsstrategie um den Ansatz der TCM, dann tritt die Ursache der Allergie in den Fokus. Zwar bleibt zu Beginn die Notwendigkeit der reduzierten Aufnahme des Allergens (ggf. Elimination) bestehen, doch parallel gilt es, die zugrunde liegende Störung zu behandeln. Auf Basis der individuellen Betrachtung der Patient:in ermittelt die TCM, ob ein energetischer Mangel, pathologische Nässe oder ein gestörter Energiefluss zur Fehlleitung des Immunsystem geführt haben. Die TCM-Ernährungsberatung entwickelt gemeinsam mit dem Patienten/der Patientin ein maßgeschneidertes Ernährungskonzept unter Berücksichtigung von familiären und beruflichen Rahmenbedingungen.
Die TCM-Strategie, die Lebens- und Essgewohnheiten der/des Betroffenen auf den Prüfstand zu nehmen, wird untermauert durch die Tatsache, dass in Industriestaaten Nahrungsmittel-Allergien häufiger sind als in Entwicklungsländern und ein Stadt-Land-Gefälle besteht. Moderne Ernährungstrends favorisieren schnelle, einfach zuzubereitende Snacks und Mahlzeiten, während traditionelle gekochte Zubereitungen und regelmäßiges Essen in Ruhe zunehmend in den Hintergrund gelangen.
Aus Sicht der TCM tragen jedoch Smoothies, Müsli, Rohkost etc. nicht zur ausreichenden Versorgung des Menschen mit Qi (Lebensenergie) bei. Nahrung ist die wichtigste Energiequelle, auf die alle Organe angewiesen sind, eine optimierte Ernährungsweise hilft dabei, Fehlfunktionen, auch des Immunsystems, vorzubeugen.
Die Fülle an teils widersprüchlichen Informationen erschwert es den Betroffenen, wissenschaftliche Erkenntnisse, trendige Empfehlungen und eigene gesundheitliche Bedürfnisse in Einklang zu bringen. Eine Untersuchung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) brachte unzureichende Kenntnisse in weiten Teilen der Bevölkerung über das Allergiepotenzial einzelner Lebensmittel hervor.[3]
Dinkel hat das Image des „alten und unverfälschten Getreides“. Dennoch besteht im Vergleich zum Weichweizen kein geringeres Allergierisiko, da eine hohe Übereinstimmung zwischen den allergieauslösenden Proteinen besteht. Die Wahrscheinlichkeit einer Kreuzreaktivität von Dinkel ist bei einer Weizenallergie laut BfR sehr hoch.
Sojabohnen erfahren als Proteinlieferant derzeit durch vegetarische bzw. vegane Ernährungstrends großen Zuspruch und werden von der Nahrungsmittelindustrie umfangreich zur Herstellung von Fleisch- und Milchersatzprodukten genutzt. Die Sojabohne hat sich zwischenzeitlich zu einem der häufigsten Auslöser von Nahrungsmittel-Allergien entwickelt, im Anaphylaxie-Register nimmt sie bereits Platz zwei ein. Dennoch wird dem Allergiepotential erst wenig Beachtung geschenkt.[4]
Nicht nur die Menge des aufgenommenen Allergens entscheidet über die Reaktion. Faktoren wie Lebensalter, die Kreuzreaktivität, körperliche Anstrengung, ein Infekt oder Wärme-/Kältereize führen zu schwankenden Reaktionen bei der/dem Allergiker:in und erschweren ihr/ihm die Einschätzung der eigenen Toleranzgrenzen. Erhitzen oder mechanisches Zerkleinern vermindert das Allergiepotential einiger Lebensmittel (Stein- und Kernobst, Tomaten, Möhren und Kartoffel). Bei Milch, Fleisch, Fisch, Krusten- und Schalentieren sowie Sellerie und Nüssen hilft selbst intensive Erhitzung und Verarbeitung nicht, die Allergenität zu reduzieren.
An diesen Beispielen wird ersichtlich, dass ein Allergiemanagement die Betroffenen leicht überfordern kann, professionelle Unterstützung im Rahmen einer TCM-Ernährungsberatung kann dazu beitragen, den Druck, der auf den Einzelnen lastet, zu senken. Ziel der Ernährungstherapie ist es, die Lebensqualität zu verbessern und das Ausmaß der Reaktionen zu reduzieren bei ausgewogener Nährstoffversorgung. Dabei können Kuren mit therapeutischen Rezepten sehr nützlich sein.[5] Sie kombinieren heimische Lebensmittel mit chinesischen Heilkräutern – abgestimmt auf die individuellen Symptome –, um Ungleichgewichte wie Schwächezustände, Stagnation, Hitze oder die Ansammlung von Nässe zu verbessern. Aber keine Sorge – die Freude am Essen kommt dabei nicht zu kurz.
Giesela (78) leidet seit vielen Jahren im Frühling unter Augenjucken und Niesattacken, sie vermutet eine Allergie auf Birkenpollen. Da die Beschwerden alljährlich ohne Intervention abklingen, hat sie das Thema nie intensiv verfolgt.
2018 stellte sich im Winter ein starker Reizhusten ein, Giesela ging von einer Erkältung aus. Hustenmittel verschafften keine Linderung, die Intensität nahm zu. Vom Pneumologen wird eine allergische Reaktion als Ursache angenommen, auf eine nähere Abklärung wird verzichtet, Kortison-Spray brachte Linderung. Der Husten stellt sich auch im darauffolgenden Jahr wieder ein, Kortison-Spray führt wieder zur Entspannung.
Im Juni 2019 hatte Giesela erstmals juckende rote Schwellungen am Oberkörper, die anfangs nach einem Tag wieder abklangen. Dann intensivierten sich die Beschwerden, handtellergroße Quaddeln von der Schulter bis zum Gesäß wurden von intensivem Jucken begleitet. Die Diagnose des Arztes lautete Erdbeerallergie, nach dem Verzicht auf Erdbeeren bildeten sich die Quaddeln zurück.
In der Ernährungsberatung schilderte Giesela weitere Beschwerden: riechende Blähungen, Völlegefühl, Verstopfungsneigung und trockene Schleimhäute.
Gieselas Essgewohnheiten
Giesela besitzt einen großen Nutzgarten und ist stolz auf die jährliche Erdbeerernte. Die Erntemenge übersteigt meist den Bedarf ihres Zweipersonenhaushalts. Deshalb hatte sie in der Saison je eine große Portion nach dem Mittagessen und zum Abendessen genossen.
Seit einigen Jahren isst sie einen rohen Apfel vor dem Frühstück (Brot, Butter, Aufschnitt und Marmelade), Trockenfrüchte sind ihre bevorzugte Zwischenmahlzeit. Mittags legt sie Wert auf die warme Hauptmahlzeit. Vor einer Weile begann sie, die Gemüsebeilage durch Rohkost-Salate (Möhren, Weißkohl, Rote Beete…) zu ersetzen. Kuchen gibt es mehrmals wöchentlich, am Abend meist eine Scheibe Brot mit Schinken.
Analyse nach der chinesischen Medizin
Die Birkenpollenallergie kann als lange bestehende Schwäche der Lunge und des Abwehr-Qi interpretiert werden. Dieses energetische Defizit wird durch den altersbedingten Rückgang der Qi-Bereitstellung aus der Nahrung verstärkt (Schwäche der Mitte), Trockenfrüchte und Kuchen förderten die Ansammlung von Nässe. Die in guter Absicht verzehrte Rohkost schwächte die Mitte zusätzlich. In Folge entwickelten sich Verdauungsbeschwerden, diverse Trockenheitssymptome und vermutlich eine weitere Allergie (Reizhusten). Der exzessive Erdbeerkonsum (Kreuzallergie mit Birkenpollen) löste schließlich eine heftige Fehlleistung des Immunsystems aus.
Die Ernährungsumstellung
2019 verzichtet Giesela komplett auf Erdbeeren. Über mehrere Wochen bevorzugte sie 5 x pro Woche ein therapeutisches Frühstück auf der Basis von Rundkornreis mit Mandeln, Birne, Lilienzwiebeln und Longanfrüchten (Milz- und Lungen-Qi stärken, Lunge und Darm befeuchten). Der rohe Apfel vor dem Frühstück entfiel, die Rohkostsalate wurden durch einen kleinen Blattsalat und gegartes Gemüse ersetzt. Giesela bekam Tipps zum Umgang mit Küchenkräutern und Gewürzen. Die Trockenheitssymptome verbesserten sich, Völlegefühl und Blähungen nahmen spürbar ab, Hautbeschwerden blieben aus.
2020 stellte sich im Winter der trockene Husten nur für kurze Zeit ein, die Reaktion in der Birkenpollenphase war unverändert. In der Erdbeersaison konnte Giesela mehrmals wöchentlich eine kleine Portion der geliebten Erdbeeren vertragen. Zwei warme Mahlzeiten pro Tag helfen nun dabei, Nahrungs-Qi bereitzustellen. Obstkompotte und Gemüsegerichte unterstützen die Bildung von Körpersäften zur physiologischen Befeuchtung und zur Normalisierung der Darmfunktion.
Literatur:
[1] Deutscher Allergie und Asthmabund daab.de/ernaehrung/nahrungsmittel-allergien/was-ist-das/erscheinungsbilder
[2] Siedentopp,Uwe (2018) Nahrungsmittelallergien aus Sicht der Ernährungsmedizin und chinesischer Diätetik Diätetik bei pollenassoziierter Nahrungsmittelallergie DZA_1_2018.pdf (dr-siedentopp.de)
[3] Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) www.bfr.bund.de/cm/343/auch-dinkel-kann-allergien-ausloesen-wissenstand-der-bevoelkerung-zu-dinkel-als-weizenart-ist-niedrig.pdf
[4] Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) https://www.bfr.bund.de/cm/343/sojahaltige-lebensmittel-und-nahrungsergänzungsmittel-gesundheitliche-aspekte.pdf
[5] Beispiele auf: www.tcm-splinter.de unter Videos und mehr
Bildernachweis:
Vera Splinter
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