Dr. Anne Hardy, Frankfurt
Welche klinische Evidenz gibt es für die Anwendung Chinesischer Arzneimittel-Therapie (CAM) bei Nahrungsmittel-Allergien und Ekzemen? Das ist die Fragestellung eines chinesisch-amerikanischen Übersichts-Artikels.[1] Nachdem die Wirksamkeit einer von Wu Mei Wan abgeleiteten Rezeptur bereits 2007 an Mäusen untersucht wurde, läuft derzeit eine klinische Phase II-Studie, in der die Rezeptur an Patient:innen mit verschiedenen Allergien gegen verschiedene Nüsse, Fisch und Schalentiere getestet wird.
Nahrungsmittelallergien sind in den USA eine der häufigsten Indikationen für CAM. 2016 berichtete die American Academy of Allergy, Asthma and Immunology, dass 53,6 Prozent der Verschreibungen von CAM der Behandlung von Nahrungsmittelallergien dienten.[2] In den Vereinigten Staaten leiden etwa 10 Prozent der Kinder[3] und Erwachsenen[4] an Nahrungsmittel-Allergien. Es handelt sich um drei Typen von immunvermittelten, potenziell lebensbedrohlichen Reaktionen:
Derzeit gibt es nur eine von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassene Behandlung, und zwar für Überempfindlichkeitsreaktionen auf Erdnüsse: Das Medikament „Palforzia“ erhöht die Immuntoleranz gegenüber Erdnüssen. In allen anderen Fällen von hochgradigen Nahrungsmittelallergien müssen die Betroffenen auf strikte Allergenvermeidung achten und ihre Notfallmedikation immer dabeihaben.
In den Klassikern der Chinesischen Medizin gibt es zwar keinen Begriff für Nahrungsmittelallergien, aber Zhang Zhongjing entwickelte die Rezeptur Wu Mei Wan zur Bekämpfung von Darmparasiten, von denen wir heute wissen, dass sie eine IgE-vermittelte Immunreaktion auslösen. Die Autor:innen um die Mikrobiologin und Immunologin Prof. Xiu-Min Li am New York Medical College und Zixi Wang von der Chinese Academy of Medical Sciences, Beijing, gingen deshalb davon aus, dass die Rezeptur auch zur Linderung IgE-vermittelter Nahrungsmittel-Allergien verwendet werden könnte.
Zunächst leiteten die Autor:innen aus der Formel Wu Mei Wan ihre „Food Allergy Herbal Formula 2“ (FAHF-2) ab. Der ursprünglichen Rezeptur wurde Ling Zhi (Ganoderma lucidum) hinzugefügt, wegen seiner entzündungshemmenden und anti-allergischen Wirkung. Xi Xin (Herba cum radice asari) und Zhi Fu Zi (Radix lateralis aconiti carmichaeli praeparata) wurden wegen ihrer potenziell toxischen Wirkung entfernt. FAHF-2 wurde als erste pflanzliche Substanz von der FDA für Studien zu Nahrungsmittelallergien zugelassen. Die einzelnen Bestandteile waren bereits zuvor in den USA als Nahrungsergänzungsmittel frei verkäuflich sind.
Von Wu Mei Wan abgeleitete Rezeptur FAHF-2
In einer präklinischen Studie an Mäusen, bei denen eine allergische Reaktion auf Erdnüsse induziert worden war, war bereits vor mehr als 15 Jahren gezeigt worden, dass FAHF-2 eine systemische Anaphylaxie verhindert. Die Arbeitsgruppe von Xiu-Min Li, die damals noch an der Mount Sinai School of Medicine in New York arbeitete, konnte immunmodulatorische Auswirkungen nachweisen, die auch ein halbes Jahr nach der Behandlung anhielten. Daraufhin ließ die FDA die Rezeptur FAHF-2 im Jahr 2007 für klinische Versuche an Menschen zu.
In der Phase-I-Studie wurde die Sicherheit von FAHF-2 an 18 Probanden untersucht, die allergische Reaktionen auf Erdnüsse, Walnüsse, Haselnüsse, Fisch und/oder Schalentiere hatten. In der Placebo-kontrollierten Doppelblind-Studie erhielten die Probanden eine steigende Dosis von 4, 6, oder 12 Tabletten drei Mal täglich über eine Woche. Die Dosis wurde gut vertragen und es gab keine unerwünschten Nebenwirkungen.
In der darauffolgenden Phase-II-Studie erhielten Probanden mit Allergien gegen Erdnüsse, Haselnüsse, Walnüsse, Sesam, Fisch oder Schalentiere dreimal täglich 10 Tabletten FAHF-2 bzw. Placebo über ein halbes Jahr. Das primäre Ergebnis war eine Veränderung der Reaktionsschwelle bei Nahrungsaufnahme vor und nach der Behandlung. Insgesamt wurden 68 Probanden an drei Standorten in den USA in die Studie aufgenommen. Die Behandlung wurde gut vertragen, und es traten keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse auf. Blutuntersuchungen deuteten darauf hin, dass Immunzellen, die genügend mit FAHF-2 wechselwirkten, von einem allergischen zu einem nicht-allergischen Phänotyp übergingen.[5]
Der primäre Endpunkt der ersten Phase-II-Studie wurde nicht erreicht, was die Autor:innen darauf zurückführen, dass 44 Prozent der Proband:innen eine schlechte Therapietreue aufwiesen. Ein großer Nachteil war die hohe Tagesdosis von insgesamt 30 Tabletten. Daher wurde ein verbessertes Extraktionsverfahren entwickelt, bei dem die Wirkstoffe konzentriert und die nichtmedizinischen Verbindungen entfernt wurden. Untersuchungen ergaben, dass man von dem BF2 genannten Präparat nur etwa 1/5 der Dosis von FAHF-2 benötigte, um Mäuse vor Erdnussanaphylaxie zu schützen. Die Formel wurde noch ein weiteres Mal verbessert, indem man ein effektiveres Extraktionsverfahren für Ling Zhi anwendete.
Die daraus entstandene Rezeptur EBF2 wird in einer laufenden Phase-II-Studie an zwei Standorten in den USA untersucht. Die Studienarme testen EBF2 gegen Placebo, multiple orale Immuntherapien (OIT) für drei Lebensmittelallergene und eine viermonatige Einnahme des künstlich hergestellten Antikörpers Omalizumab, der vorwiegend bei schwerer Nesselsucht eingesetzt wird. Die oralen Immuntherapien (ähnlich dem Medikament Palforzia gegen Erdnussallergie) sind ebenfalls noch nicht zugelassen. Der primäre Endpunkt ist die anhaltende Unempfindlichkeit gegenüber allen drei Allergenen nach zwei Jahren.
Der Übersichtsbeitrag enthält ausführliche Angaben zu allen Studien, die zu den einzelnen pflanzlichen Bestandteilen von Wu Mei Wan gemacht wurden. Einer der häufigsten Inhaltsstoffe ist Berberin, das auch in Berberitzen (Berberis vulgaris) enthalten ist. Die Autor:innen zitieren diverse Studien, die nahelegen, dass Berberin überschießende Immunreaktionen dämpft.
Trotz strikter Vermeidung kommt es bei einigen Kindern mit schweren Nahrungsmittelallergien häufig zu schweren Anaphylaxien, die durch Hautkontakt oder Inhalation ausgelöst werden und häufige Besuche in der Notaufnahme und Einweisungen auf die Intensivstation erfordern. In einer praxisbasierten Studie konnte die erfolgreiche Vorbeugung von schwerer Anaphylaxie durch eine TCM-Kombinationsbehandlung gezeigt werden.[6] Insgesamt wurden drei Patient:innen im Alter von 9 bis 16 Jahren untersucht (Patient P1 hatte eine Allergie gegen Milch; P2 und P3 gegen Nüsse). Alle erlitten in den beiden Jahren vor der TCM-Behandlung zahlreiche anaphylaktische Reaktionen (30-400), die eine medikamentöse Behandlung (5-50 Mal) und Besuche in der Notaufnahme (5-40 Mal) erforderten. Es wurden eine modifizierte Wu Mei Wan-Formel (Mittel A), eine Da zao (Fructus-Jujubae)-Formel (Mittel B), ein Huang Bai (Phellodendron chinensis)-haltiger Kräuterbadzusatz (Mittel C) und eine Kräutersalbe (Mittel D) verabreicht. Bei diesen Kindern kam es zu einer deutlichen Verringerung der anaphylaktischen Ereignisse.[7] Leider ist diese Studie nicht kostenlos zugänglich, aber einen Eindruck von der Therapiestrategie zeigt das im Folgenden erklärte Vorgehen bei allergischen Ekzemen.
Der Übersichtsartikel berichtet weiterhin über Studien zur Behandlung von Ekzemen, die eine hohe Komorbidität mit Nahrungsmittelallergien aufweisen. Sie sollen abschließend nur kurz erwähnt werden. Eine kombinierte TCM-Therapie bestehend aus innerer und äußerer Anwendung (Bad und Salbe) führte zu einer deutlichen Verbesserung von Hautläsionen, Juckreiz und Schlafstörungen bei Patient:innen, die von Kortikosteroiden abhängig sind, Rezidive oder einen Entzug von topischen Steroiden durchmachen. Die Rezeptur Xiao Feng San[8] sowie japanische und koreanische Rezepturen erwiesen sich bei Ekzemen als wirksam. Außerdem verringerte Akupunktur die Größe der Quaddeln, den Juckreiz und die Aktivierung der basophilen Granolozyten bei atopischer Dermatitis.[9]
Fu Ling (Poria sclerotium)
Mu Dan Pi (Moutan Cortex)
Di Fu Zi (Kochiae Fruc.)
Jin Yin Hua (Lonicerae Flos)
Zi Cao (Arnebiae/Lithospermi Radix)
Lian Qiao (Forsythia Fruc.)
Qing Dai (Indigo naturalis)
Sheng Gan Cao (Glycyrrhizae Radix)
Huang Bo (Phellodendron chinensis Cortex)
Da Huang (Rhei Radix et Rhizoma)
Bai Xian Pi (Dictamni Cortex)
Bai Ji Li (Tribulus Fruc.)
Ku Shen (Sophorae Flavescentis Radix)
Fu Ling (Poria sclerotium)
Bai Ji Li (Tribulus Fruc.)
Dang Gui (Angelicae Sinensis Radix)
Jin Yin Hua (Lonicerae Flos.)
Zi Cao (hong) (lithospermum root)
Ku Shen (Sophorae Flavescentis Radix)
Qing Dai (Indigo naturalis)
Bing Pian (Borneolum)
Huang Bo (Phellodendron chinensis Cortex)
Qing Dai (Indigo naturalis)
Quelle:
[1] Wang Z, Wang ZZ, Geliebter J, Tiwari R, Li XM. Traditional Chinese medicine for food allergy and eczema. Ann Allergy Asthma Immunol. 2021 Jun;126(6):639-654. doi: 10.1016/j.anai.2020.12.002. Epub 2020 Dec 10. PMID: 33310179.
[2] Land MH, Wang J. Complementary and alternative medicine use among allergy practices: results of a nationwide survey of allergists. J Allergy Clin Immunol Pract. 2018;6(1):95e98.
[3] Bunyavanich S, Rifas-Shiman SL, Platts-Mills TA, et al. Peanut allergy prevalence among school-age children in a US cohort not selected for any disease. J Allergy Clin Immunol. 2014;134(3):753e755.
[4] Gupta RS, Warren CM, Smith BM, et al. Prevalence and severity of food allergies among US adults. JAMA Netw Open. 2019;2(1):e185630.
[5] Wang J, Jones SM, Pongracic JA, et al. Safety, clinical, and immunologic efficacy of a Chinese herbal medicine (food allergy herbal formula-2) for food allergy. J Allergy Clin Immunol. 2015;136(4):962e970.
[6] Lisann L, Song Y, Wang J, Ehrlich P, Maitland A, Li XM. Successful prevention of extremely frequent and severe food anaphylaxis in three children by combined traditional Chinese medicine therapy. Allergy Asthma Clin Immunol. 2014;10(1):66.
[7] Li XM. Complementary and Alternative Medicine for Treatment of Food Allergy. Immunol Allergy Clin North Am. 2018 Feb;38(1):103-124. doi: 10.1016/j.iac.2017.09.012. PMID: 29132667.
[8] Cheng HM, Chiang LC, Jan YM, Chen GW, Li TC. The efficacy and safety of a Chinese herbal product (Xiao-Feng-San) for the treatment of refractory atopic dermatitis: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Int Arch Allergy Immunol. 2011;155(2):141e148.
[9] Siehe Ref. 1
Bildnachweise:
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Heilpraktikerin
Erweiterter Vorstand Medizinische Wissenschaft
Schifferstr. 59
60594 Frankfurt
hardy(at)agtcm.de
https://www.akupunktur-hardy.de
Dr. phil. Anne Hardy betreut im erweiterten Vorstand der AGTCM den Bereich „Medizinische Wissenschaft“. Die studierte Physikerin und promovierte Medizinhistorikerin arbeitete als freie Journalistin, bevor sie zur Chinesischen Medizin fand. In ihrer Praxis in Frankfurt am Main behandelt sie vor allem gynäkologische Beschwerden und Paare mit unerfülltem Kinderwunsch.
Die Ergebnisse der analysierten Studien zeigen eine vergleichbare Wirksamkeit von Akupunktur und konventioneller Therapie bei mittleren bis schweren Allergien. Doch ist die Akupunktur als Therapie die allergischen Rhinitis (Heuschnupfen) sicherer und zeigt deutlich weniger Nebenwirkungen als konventionelle Therapien.
Mehr erfahrenVerschiedene Meta-Analysen publizierter Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Einnahme von chinesischen Arzneimitteln die Wirksamkeit einer Behandlungen der allergischen Rhinitis (Heuschnupfen) verbessern kann. Dies sei unabhängig davon, ob es sich um eine konventionelle Behandlung mit kortisonhaltigem Nasenspray und Antihistaminika handelt oder um eine Akupunktur-Therapie.
Mehr erfahrenAkupunktur ist eine sichere und effektive Behandlung bei moderater und ebenfalls starker fortdauernder allergischer Rhinitis. Im Vergleich zur Gruppe, die mit westlicher Medizin behandelt wurde, zeigte sich die Behandlung mit Akupunktur weitaus vorteilhafter in der Dauerhaftigkeit der Wirkung.
Mehr erfahrenDie AGTCM entwickelt und sichert die Zukunft der Chinesischen Medizin.
Wir sind die ersten Ansprechpartner für die Politik und Wissenschaft und setzen uns für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung durch TCM ein.