Dr. Anne Hardy, Frankfurt
Für die schnelle und effektive Schmerzbekämpfung in der Notaufnahme eines Krankenhauses oder in Lazaretten entwickelte R. C. Niemtzow 2007 die „Battlefield acupuncture“ (BFA).[1] Sie nutzt eine Auswahl von fünf Punkten der Ohrakupunktur nach Nogier, die in der Reihenfolge Cingulum, Thalamus, Omega 2, Shen Men und Point Zero[2] mit ASP-Nadeln gestochen werden. Die Erforschung der BFA ist in den USA vor allem durch die Terroranschläge am 11. September 2001 vorangetrieben worden, denn sie erfüllt viele Kriterien der modernen Schmerztherapie. Sie ist im Notfall schnell anzuwenden, hat geringe Nebenwirkungen, erfordert wenig Überwachung, wird von den Patient:innen gut angenommen und ist kostengünstig. Inzwischen gibt es auch Studien zur Anwendung der BFA bei chronischem Schmerz. Hier ist das Ziel, eine Abhängigkeit von Opioiden zu vermeiden.
Die Effektivität von Ohrakupunktur in der Notaufnahme untersuchten australische Forscher 2017 in einer Metaanalyse. Sie schloss vier randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) mit insgesamt 286 Patient:innen ein. Die Patient:innen erhielten Ohrakupunktur (hauptsächlich BFA), Sham-Akupunktur oder eine Kombination von Ohrakupunktur und westlicher Schmerztherapie. Die Autor:innen errechneten eine signifikante Schmerzreduktion durch die Ohrakupunktur. Zudem waren diese Patient:innen mit der Notfallbehandlung zufriedener als die Kontrollgruppe, die keine Akupunktur erhalten hatte. Die Frage, ob Schmerzmittel reduziert werden konnten, ließ sich nicht eindeutig beantworten, weil die Studien zu heterogen waren. Die Autor:innen empfehlen, die Anwendung von Ohrakupunktur in der Notaufnahme weiter zu untersuchen.[3]
Ohrakupunktur bei chronischen Schmerzen stand im Fokus der Metaanalyse von Klaus Linde und seinem Team an der Technischen Universität München. Sie untersuchte Ohrakupunktur bei unspezifischen muskuloskelettalen Schmerzen, Arthrose, chronischen Kopfschmerzen und Schulterschmerzen.[4]
Eingeschlossen wurden randomisierte Studien zur Akupunktur im Vergleich zu Scheinakupunktur oder keiner Akupunktur. Die wichtigsten Endpunkte waren Schmerzen und Funktion des betroffenen Körperteils. Es wurden Daten von insgesamt 20.827 Patienten aus 39 Studien untersucht. Das Ergebnis: Akupunktur war sowohl der Scheinakupunktur als auch der Kontrolle ohne Akupunktur bei allen Schmerzzuständen überlegen (alle p<0,001). Jedoch war der Unterschied zwischen Akupunktur und Scheinakupunktur geringer als zwischen Akupunktur und keiner Akupunktur. Die Autor:innen fanden klare Hinweise darauf, dass die Wirkung der Akupunktur über einen längeren Zeitraum anhält, und nach einem Jahr nur geringfügig (etwa 15 Prozent) abnimmt.
Das macht die Ohrakupunktur auch zu einem wichtigen Instrument, um die zunehmende Opiat-Abhängigkeit von Schmerzpatient:innen einzudämmen. Die amerikanischen Fachgesellschaften für Akupunktur haben 2017 ein Weißbuch verfasst, in dem es heißt: „Die Vereinigten Staaten sind mit einer landesweiten Opioid-Epidemie konfrontiert, und die medizinischen Systeme benötigen nicht-pharmakologische Strategien, um die Opioid-Abhängigkeit der Bevölkerung zu verringern. Die Akupunktur hat sich als wirksame, evidenzbasierte, sichere, kosteneffektive und verfügbare Behandlungsmethode erwiesen, die diesem Bedarf gerecht wird.“[5] Sie weisen darauf hin, dass zahlreiche amerikanische Bundesbehörden empfehlen oder sogar vorschreiben, dass Gesundheitssysteme und Leistungserbringer nicht-pharmakologische Behandlungsoptionen anbieten sollten. Sie empfehlen Akupunktur als eine evidenzbasierte, sofort verfügbare Option, die in so unterschiedlichen Bereichen wie der Notaufnahme, Entbindungsstationen und Neugeborenen-Intensivstationen eingesetzt werden kann. Akupunktur werde bereits erfolgreich von der Veteranenverwaltung und verschiedenen Zweigen des US-Militärs eingesetzt.
Das US-Ministerium für Veteranenangelegenheiten hat bereits von einigen Jahren Grundversorger in „Battlefield acupuncture“ (BFA) ausgebildet. Wie wirkungsvoll diese Methode bei Rückenschmerzen und vier Schmerz-Komorbiditäten ist, untersuchte die Gruppe von D. Federmann am West Haven Veteranenhospital in Connecticut.[6] 284 Veteranen wurden sowohl in Gruppen- als auch in Einzelsitzungen akupunktiert. Sie bewerteten ihre Schmerzen sowohl kurz vor der Behandlung mit BFA als auch direkt danach mithilfe der „Defense and Veterans Pain Rating Scale“. In 82 Prozent von insgesamt 753 Behandlungen trat eine Schmerzlinderung ein. Bei 9,7 Prozent änderte sich nichts und 8,3 Prozent der Patient:innen empfanden eine Verschlimmerung. Die Schmerzlinderung erfolgte sowohl in den Einzel- als auch in den Gruppensitzungen – auch bei Patient:innen mit einem initial hohen Schmerzempfinden. Die Schmerzreduktion ließ sich bei Wiederholungen derselben Behandlung aufrechterhalten. Die Autor:innen bewerten BFA aufgrund dieser Ergebnisse als effektive, nicht-pharmakologische Methode zur sofortigen Schmerzlinderung bei einer überwältigenden Anzahl von Veteranen.
Referenzen:
[1] Niemtzow RC. Battlefield Acupuncture. Med Acupunct. 2007; 19(4):225–228.
[2] Bilder der verwendeten Punkte z. B. unter: https://www.researchgate.net/figure/Sample-points-for-auricular-acupuncture_fig1_335382673
[3] Andrew L. Jan et al: Does Ear Acupuncture Have a Role for Pain Relief in the Emergency Setting? A Systematic Review and Metaanalysis, in: Medical acupuncture, Volume 29, Number 5, 2017. DOI: 10.1089/acu.2017.1237
[4] Vickers, A. J., Cronin, A. M., Maschino, A. C., Lewith, G., MacPherson, H., Foster, N. E., Sherman, K. J., Witt, C. M., Linde, K., & Acupuncture Trialists' Collaboration (2012). Acupuncture for chronic pain: Individual patient data meta-analysis. Archives of Internal Medicine, 172 (19), 1444-1453. https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/fullarticle/1357513
[5] Fan, A. Y., Miller, D. W., Bolash, B., Bauer, M., McDonald, J., Faggert, S., He, H., Li, Y. M., Matecki, A., Camardella, L., Koppelman, M. H., Stone, J., Meade, L., & Pang, J. (2017). Acupuncture's role in solving the Opioid Epidemic: Evidence, cost-effectiveness, and care availability for acupuncture as a primary, non-pharmacologic method for pain relief and management-white paper 2017. Journal of Integrative Medicine, 15(6), 411–425, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S2095496417603789?via%3Dihub
[6] Federman, D. G., Zeliadt, S. B., Thomas, E. R., Carbone, G. F., Jr, & Taylor, S. L. (2018).Battlefield acupuncture in the Veterans Health Administration: Effectiveness in individual and group settings for pain and pain comorbidities. Medical Acupuncture, 30(5), 273–278. https://www.liebertpub.com/doi/10.1089/acu.2018.1296
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Heilpraktikerin
Erweiterter Vorstand Medizinische Wissenschaft
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Dr. phil. Anne Hardy betreut im erweiterten Vorstand der AGTCM den Bereich „Medizinische Wissenschaft“. Die studierte Physikerin und promovierte Medizinhistorikerin arbeitete als freie Journalistin, bevor sie zur Chinesischen Medizin fand. In ihrer Praxis in Frankfurt am Main behandelt sie vor allem gynäkologische Beschwerden und Paare mit unerfülltem Kinderwunsch.
Zwei neuere Meta-Analysen, die sich kritisch mit der Battlefield Akupunktur auseinandersetzen, zeigen - so ihre Autor:innen - dass sich die Battlefield Akupunktur, wenn überhaupt, nur für den Akutfall eigne. Danach ergebe sich nach der aktuellen Datenlage kein Vorteil durch Langzeitanwendung. Einer der Autoren beurteilt die bisherigen Studien als qualitativ niedrig und wirft ihnen methodische Schwächen vor. Eine Zusammenfassung dieser Studien finden Sie hier.
Mehr erfahrenOrthopäd:innen der RWTH Aachen untersuchten im Rahmen einer Metaanalyse von einer Vielzahl an Studien die Frage, welches Akupunktur-Protokoll am besten bei Kreuzschmerzen hilft. Verglichen wurden standardisierte Akupunktur-Protokolle, Sham-Akupunktur, individuelle Akupunktur, Ohr-Akupunktur, Elektroakupunktur und Akupunktur in Kombination mit Transkutaner Elektrischer Nervenstimulation (TENS).
Mehr erfahrenDie AGTCM entwickelt und sichert die Zukunft der Chinesischen Medizin.
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