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Reiseführer in das Meridiansystem der Chinesischen Medizin

Die Wege des Meridiansystems zu verstehen ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Akupunktur der Akupunkteure. Denn nur wer die Grundlagen versteht, kann mit Meridiantherapie alles behandeln. Ansonsten wendet der Therapeut ungeeignete Konzepte an, die teils aus der Kräutertherapie stammen, was dann zu Behauptungen führt wie Jing-Mangel könne man nur mit Kräutern füllen, nicht mit Nadeln. Autorin: Silja Thiemann

Starten wir die Reise in das Meridiansystem, der Basis aller Therapien, die auf dem klassischen Meridiansystem der chinesischen Medizin beruhen. Wir reisen entlang der Pfade, die schon die antiken Ärzte und daoistischen Heiler beschritten hatten. Es öffnet sich dabei eine Sichtweise auf uns Menschen, die zugleich tief in uns selbst hineinführt.

Die antike chinesische Medizin hat viele Modelle entwickelt, um die Bewegungen der Qi im Dao zu erklären, angefangen von den Bewegungen der Planeten, der Jahreszeiten bis hin zu Qi- und Blutzirkulation durch die Meridiansysteme im Menschen. Die Muster der Qi-Bewegungen besitzen eine über unsere individuelle Lebensgeschichte hinausgehende Qualität. Im zyklischen Kreislauf des Universums treten diese sich immer wieder ereignenden Qualitäten in Wechselwirkung mit der materiellen Welt.

Jedes der Erklärungsmodelle veranschaulicht bestimmte Qualitäten der Bewegungen des Qi im Prozess des Lebens. Daher hat jedes Meridiansystem der Klassiker seine eigene Ordnung, spezifische Betrachtungsweisen und spiegelt bestimmte Muster, wie sich Qi und Blut durch den Organismus bewegen. Zum anderen erklären sie, wie der Organismus auf eingedrungene krankmachende Faktoren reagiert. Alle Systeme wurden seit der Antike als eigenständig existierend und doch miteinander in Verbindung und Wechselwirkung stehend dargestellt. Jedes Modell mit den jeweiligen Behandlungsmethoden wurde sehr pragmatisch gehandhabt.

Im Meridiansystem gibt es die Jing als Hauptkanäle, hier als Primärleitbahnen bezeichnet. Von ihnen zweigen die Mai als Seitenarme ab (Muskel-Sehnen-Meridiane, Luo-Verbindungs-M., divergente M., ausserordentliche M.). Ausgehend von der Primärleitbahn öffnen sich Kollaterale zur Oberfläche: Die Muskel-Sehnen-Leitbahnen öffnen sich über den Jing-Brunnen-Punkt und erreichen v. a. Haut, Sehnen und Muskelebene. Die Luo-Leitbahnen starten am Luo-Verbindungs-Punkt, ziehen jedoch schon in die tiefere Blutschicht.

Die Grundlage der chinesischen Medizin ist, dass wir als Mensch immer vollständig sind. Würde nur eine Qi-Qualität in uns fehlen, wären wir nicht lebensfähig. Mit jedem Meridiansystem können grundsätzlich alle Erkrankungen behandelt, kann immer der ganze Mensch erreicht werden. Die Landkarten der Meridiane spiegeln alle die gleiche Landschaft. Es macht jedoch einen Unterschied, anhand welcher Karte wir uns auf bestimmten Pfaden durch diese Landschaft bewegen.
Bei den verschiedenen Modellen handelt es sich um verschiedene Stufen der Annäherung zum Herzen, zum individuellen Shen. Es ist diese Nähe oder Ferne zu uns selbst, die wir leben, und die uns individuell auf einer bestimmten Ebene erkranken lässt. Mit der Auswahl fokussiert der Therapeut seine Absicht auf die Stufe, von der er überzeugt ist, dass hier die Behandlung des Patienten beginnen soll.

Akupunktur ist also die Lehre von den möglichen Landkarten, die unterschiedliche Zugänge bieten, wie wir mit den Themen unserer Patienten umgehen, entsprechend der Neigung des Patienten, auf welcher Schicht er seine externen, innerlichen und konstitutionellen Reflexionen und Erkenntnisse lebt. Auch wenn wir alle Erkrankungen über ein Meridiansystem behandeln könnten, würden wir damit dem inneren Wachstum des Patienten nicht gerecht werden. Wir würden ihn so auf dieser Entwicklungsstufe festhalten. Der Schlüssel zur Heilung ist, den Menschen in seiner Wahrnehmung, seiner Aufmerksamkeit zu befreien. Die so erreichte Achtsamkeit muss keine besonders angenehme sein. Manchmal braucht es den Schub einer Heilungskrise, oder die Erfahrung von Leiden, die uns in Bewegung bringt.

In der Meridianlandschaft zu Zeiten des Nei Jing verbinden die Primärleitbahnen das Körperinnere mit dem Äusseren, siehe Schema.

Sie werden permanent attackiert, sowohl von externen (e.p.F.) als auch internen (i.p.F.) Pathogenen. Attackiert ein externes Pathogen (z. B. Klima) den Körper, dringt es zunächst in die Haut ein. Kann es dort nicht eliminiert werden, wandert es in die Sun Luo: Kollaterale Muskel-Sehnen-Meridiane, dann in die Luo- und ggfs. in die divergenten Meridiane. Wichtig ist an dieser Stelle die Beschreibung, dass ein Pathogen, bevor es tiefer über die Primärleitbahn zu den Organen gelangen kann, immer zuerst in die Luo-Leitbahn geht.

Die externen Pathogene werden oft vorher in den Muskel-Sehnen-Meridianen niedergerungen. Das sind die Pfade, auf denen v. a. das abwehrende Wei Qi zirkuliert. Über diese Meridiane werden meist sogenannte Bi-Symptome im tendinomuskulären Bewegungsapparat behandelt. Hier stellt sich die Frage nach der Ursache, d. h,. um welches Bi handelt es sich: Wind, Kälte, Feuchtigkeit oder deren Kombination. Wenn nun aber dieser externe Faktor nicht bestimmt werden kann, bleibt nur die Definition als Qi- und Blut-Stagnation. Gelegentlich existiert ein äusserliches Trauma als Ursache.

Doch häufig bleibt als Ursache ein unerklärlicher, aber physischer Schmerz. Er ist Ausdruck einer inneren, emotionalen Komponente im Leben. Mit diesem Körperinneren erreichen wir die Pfade der Luo-Meridiane. Sie zweigen im Luo-Punkt von der Primärleitbahn ab und sorgen für die kontrollierte Bewegung eines eingedrungenen Pathogens. Hier geht es v. a. um aus dem Inneren selbst stammenden Pathogene. Das Verstehen des Luo-Meridiansystems als Konzept ist sehr wichtig, denn nun existiert ja schon eine Stagnation auf der Blutebene. Diese lässt sich weder durch äussere, klimatische Einflüsse erklären, noch bessert Wärme- oder Kälte-Applikation oder Behandlung über Ashi-Punkte. Diese Situation legt nahe, dass es sich hierbei um psychosomatisch (somatopsychische) Symptome / Schmerzen handelt.

Eine Behandlung über Muskel-Sehnen-Leitbahnen bliebe in diesem Fall solange erfolglos, bis die auslösende Emotion mitbehandelt wird. Doch Vorsicht, auch wenn es sich um eine Art Charakterpanzerung im Sinne W. Reichs handelt, kann man nicht nur konstatieren, dass sich z. B. Ärger immer in der Schulter abgelagert. Denn jede Emotion kann das Qi in beliebige Richtung bewegen! Statt den Ärger aufsteigen zu lassen, kann man sich auch entscheiden, ihn zu kontrollieren. Das Qi richtet sich stattdessen als Depression abwärts. Die körperliche Reaktion ist hier die Begleiterscheinung zur Emotion. Auch anders herum: Die Emotion wurde schon aufgearbeitet, aber das Körperteil kann sein Festhalten nicht von allein loslassen. Wir müssen also immer beides behandeln. Damit wird klar, wie wichtig es ist, zu verstehen, wie die einzelnen Meridiansysteme miteinander verbunden sind und wie deren Verknüpfungen funktionieren.

Egal, welchen Weg über welches Meridiansystem wir wählen, die transpersonale Qualität bleibt immer von Neuem individuell zu durchleben. Manchmal gelingt es im Verlauf der Therapie, eine völlig andere Sichtweise von uns selbst und unserer Umwelt anzunehmen. Es geht in der klassischen chinesischen Medizin nicht um den Kampf gegen Symptome. Werden Symptome nur beseitigt, sind wir nicht geheilt, sondern amputiert. 
Es geht darum, das vorhandene Potential des Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Auch wenn sich das Potential nicht mehr entfalten kann, selbst wenn die Qi-Bewegungen immer schwächer werden, sich sogar manchmal gegen den Lauf des Lebens richten können, und sogar wenn der Mensch nicht mehr im Hier & Jetzt präsent ist: er hat immer die Möglichkeit, es wieder zu werden! Die Frage „Warum Ich?“ kann dann Platz machen für ein Hineinleben in die neugierige Frage „Warum nicht ich?“. Damit können viele leere Warum-Fragen überflüssig werden. Statt also weiterhin nach Ursachen, Begründungen, Definitionen, vermeintlich Schuldigen und anderweitig Festgestelltem zu suchen, können wir durch die Behandlung über die Meridiansysteme stufenweise lernen, in einem Prozess zu leben, der Muster von Wandlungsfähigkeiten und Zusammengehörigkeiten betont. Das Fremde, Bedrohliche, Unheimliche in uns und um uns kann sich dann mehr und mehr auflösen. Oder es wird uns möglich, es anzunehmen, so dass unser Leben mehr und mehr gleich gültig werden darf.

Eindringen pathogener Faktoren und gesunde Abwehrmechanismen
 

In den 14 Anfangskapiteln des Su Wen dreht sich ätiologisch alles um den Begriff der pathogenen Faktoren. Durch deren Eindringen fallen die Menschen aus dem Leben „im Einklang mit dem Rhythmus der Natur“ heraus. Diverse äussere Einflüsse (z. B. klimatisch, umweltbedingt) als auch innere (z. B. psychosoziale Faktoren) und Lebensstil-bedingte Fehler werfen uns aus der Balance und lassen uns asynchron mit den eigenen Bedürfnissen werden.

Die ersten 9 Kapitel des SuWen fokussieren auf der Pathogenese mit Betonung der klimatischen Faktoren, die in Verbindung stehen zu den Konzepten von vier Jahreszeiten, fünf Wandlungsphasen und der Yin-Yang-Theorie. Diese Konzepte stammen aus der Schule der Naturalisten, die deutlich später als die daoistischen Schriften des Zhuang Dse und des Daodejing entstanden sind. Im Su Wen, Kapitel 3, wird Wind als die Wurzel allen Übels eingeführt. Doch was bedeutet Wind dort überhaupt? Wenn der Wind weht und sich bewegt, entsteht Veränderung. Wind als fundamentaler Begriff bedeutet also die Fähigkeit, Veränderungen zuzulassen. Wind bringt Stagnation (die zu dieser Zeit meist gleich mit Kältestagnation gesetzt wurde) in Bewegung. Geben wir dieser Veränderung nicht nach, leiden wir an den Konsequenzen, die als Wind-induzierte Syndrome in den Klassikern mithilfe der fünf Wandlungsphasen beschrieben sind. Manchmal kann Wind auch sehr beharrlich sein. Wenn wir uns nicht bewegen wollen, nicht zu Veränderung bereit sind, wirbelt er in uns eine Menge auf. Das nennen wir dann inneren Wind.

Aus Sicht der Klassiker zur Zeit des Nei Jing erzeugt jede Pathologie, die sich ins Innere ausbreitet, Hitze. Die Abwehr erzeugt diese Hitze, denn das Wei Qi ist yangiger, hitziger Natur. Dabei spielt noch keine Rolle, ob das Pathogen ursprünglich Wind, Kälte oder Feuchte war. Eine Erkrankung dringt immer unter Hitzeentwicklung entlang der anatomischen Reihenfolge vom Yang-Bereich oder Kopf zum Brustkorb und schließlich ins Abdomen ein. Dieselbe Theorie formuliert Zhang Zhong Jing später in seinem Shang Han Jia Bing Lun als Vordringen der Pathologie von Tai Yang oder Shao Yang ausgehend nach Innen ins Yang Ming. Es gibt eine Alternativformulierung, mit der das Fortschreiten beschrieben wird, die ebenfalls die anatomische Reihenfolge beschreibt: Von der Oberfläche der Haut und Sehnen nach Innen zum Fleisch und den Gefäßen bis schließlich tief in die Knochen.

Bei diesem immer tieferen Eindringen wird das Yang Qi aktiviert. Die stärkste Kraft, die das Yang Qi bereitstellen kann, ist Hitze. Diese Hitze steigt auf und soll das Pathogen im Optimalfall nach Aussen treiben. Daher sind die klassischen Symptome des Yang Ming Fieber, Durst, Schwitzen und ein flutender Puls. Auf Kosten des Ying Qi und der Säfte, bzw. des Magen-Yin, wird also Hitze produziert. Dabei steigt das Magen-Yin auf, bringt sein pures Yang mit, um noch mehr Säfte zu produzieren. So bilden sich die Expektoranzien, wie Schleim in den Bronchien und Schnupfen sowie Schweiss. Der Körper erhitzt sich also reaktiv, um das Pathogen auszutreiben. Diese Hitze ist nicht als schädigend anzusehen, sondern charakterisiert eine gesunde Reaktion des Organismus als Selbsthilfe zur Ausleitung! (Erst viel später in der Ming-Dynastie mit der Weng Bing-Schule wurde auch diese Hitze negativ betrachtet. D. h., jeder Therapeut der chinesischen Medizin muss sehr klar wissen, mit welchen Konzepten und Denkweisen er gerade arbeitet.)

Im Kapitel 26 des Su Wen wird der Blick sofort auf die emotionale Disposition gerichtet, die immer auch eine Reflexion des sozialen Status und der materiellen Bedürfnisse darstellt. Emotionen sind hier nicht mehr länger nur als Bewegungsrichtungen der Qi zu verstehen, z. B. aufwärts bei Ärger. Auch wenn wir sagen, dass Ärger zu Kopfweh führt, dass Ärger uns schwindlig machen kann, weil er das Qi aufwärts bewegt, hebt er zugleich jedoch auch unseren sozialen Status. Wer sich verärgert fühlt, nimmt sich zugleich als dem anderen überlegen wahr. Das ist weit mehr als nur eine körperliche Auswirkung. Daher beschreibt die chinesische Medizin der Klassiker immer eine psychosomatische, ebenso somatopsychische Sicht!
Dann dringt die Pathologie weiter ein in die Meridiane, in die Theorie der 5 Wandlungsphasen (Kapitel 21-25). Nun hat sie Qi und Blut erreicht. Es geht um mehr als nur ein Verlust der Synchronizität mit Natur und den Jahreszeiten. Hier kommt die Dynamik der Beziehung von Qi und Blut dazu, die wiederum mit den Wandlungsphasen in den Leitbahnen korreliert.

Kultivierung des Heilers und Grundregeln zur Akupunktur
 

An dieser Stelle im Su Wen erfolgt übrigens zunächst eine Abhandlung darüber, was ein Heiler zu kultivieren hat. Dabei liegt die Betonung auf Achtsamkeit. Die Absicht bewegt das Qi, d.h., der  Fokus muss sehr klar sein. Diese Achtsamkeit gilt zu kultivieren, genau zu wissen, was der Patient exakt hier und heute braucht, wann und wie welcher Punkt genadelt wird, zusammen mit einem guten Gefühl für die Synchronizitäten im Leben. Und wenn ein Heiler sich selbst nicht gut kultivieren kann, wie sollte er dann fähig sein, andere anzuleiten?

Achtsamkeit ist der Schlüssel zum Verständnis der klassischen, chinesischen Medizin, weil diese in ihrem Kern eine energetische Medizin ist. In der modernen TCM, die auf dem sozialistischen Menschenbild basiert, wird genau das verleugnet. Indem die TCM auf die Prinzipien der westlichen Kausalität reduziert wird durch Verwissenschaftlichung mit ungeeigneten Denkmethoden durch Abgrenzung auf Teilbereiche, geht der Geist dieser Medizin immer mehr verloren. Medizin behandelt die Realität, nicht die Wirklichkeit. Leben bedeutet aber Fliessen in Prozessen und Zyklen, die sich nicht voneinander trennen lassen. Impuls-, Wärme- und Stoffaustausch, d. h. Energieaustausch, ist das Prinzip eines jeden nichtlinearen, dynamischen Systems - also der physikalischen Realität, in der wir leben.

Der Begriff energetisch macht es so schwierig zu erlernen, so schwer zu fassen. Wenn es energetisch ist und wir es nicht erfassen können, werden wir es nicht verstehen. Wenn wir es nicht verstehen, können wir daraus kein System entwickeln. Genau das ist die Einzigartigkeit der Chinesischen Medizin. Es ist unwichtig, was andere darüber lehren, sondern was wir als wichtig erkennen.
Dann wird es zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Unsere Diagnose als Heiler ist abhängig von unserer Geisteshaltung, abhängig von dem, was wir wahrnehmen. Wenn all unsere Patienten z. B. Leber-Qi-Stagnation haben, sagt das mehr über uns als über sie aus. Deshalb ist die Diagnose im SuWen selbst der unwichtigste Faktor. Es geht nicht darum, dass wir ein talentierter Diagnostiker sind, dass wir Puls und Zunge analysieren und eine rationale Diagnose stellen können: Sondern es geht darum, dass unsere Patienten uns zuhören. Und wenn sie uns unsere Diagnose abnehmen, dann war sie gut. Dann müssen wir sie allerdings auch noch beweisen. Denn was nutzt eine Diagnose, an deren Heilung wir selbst nicht glauben können? Daher lehrt der Daoismus, dass es keine unheilbaren Erkrankungen gibt, sondern nur unheilbare Menschen. Das ist das Konzept. (Es ist nur nicht einfach mit Multiple Choice Tests abprüfbar.)

Selbstkultivation als Heiler ist also der zweitwichtigste Punkt nach dem Verstehen der Abläufe der Natur. Dann erst kommen im Su Wen die Techniken selbst an die Reihenfolge, wie Kräuter und Akupunktur, und die Kenntnis des Leitbahnsystems. Als letztes in der Hierarchie der Bedeutung wird übrigens die Diagnostik selbst erwähnt. Jetzt folgen in den weiteren Kapiteln die Grundregeln der Akupunktur. In Kapitel 16 stehen Hinweise zur Behandlung in Beziehung zum Wetter, Klima, Mondphasen, Jahreszeiten. Zehn Kapitel später erfolgt die Erinnerung, dass der Körper ein Mikrokosmos im Makrokosmos ist, eine direkte Replik der Natur, entsprechend müssen wir die Natur um uns achtsam wahrnehmen.

Beschreibung des Luo-Meridiansystems
 

In den Kapiteln 50-60 des Su Wen geht es um Akupunkturtechniken und hier werden auch die Sekundärleitbahnen eingeführt. Die Luo-Leitbahnen sind Teil des Meridiansystems, wie zur Zeit der Han-Dynastie beschrieben wurde. Das Luo-Meridiansystem wird im Su Wen, v. a. Kapitel 56, 57 und 63, erwähnt und detailliert im Ling Shu, Kapitel 10, folgendermaßen beschrieben:

• Luo-Leitbahnen sind sichtbar. Alle sichtbaren Verläufe sind Luo-Kollaterale.(Die Primärleitbahnen sind dagegen unsichtbar!)
• Über die Luo-Gefäße werden Pathogene mit dem körpereigenen Abwehrmechanismus kontrolliert, damit der Fluss von Ying- und Wei-Qi nicht behindert wird.
• Über das Blut wird das Pathogen im Luo-Gefäß gebunden und zwischengespeichert.
• Wird dieser Kompensationsmechanismus überfordert, entlässt das Luo-Gefäß die Pathogene zurück in die Primärleitbahn. 
• Die Behandlungsmethode der Klassiker ist das Blutignadeln der Luo-Punkte und Luo-Verläufe, um über das Blut die Pathogene aus dem Körper hinaus zu entlassen.
• Die Pulsdiagnose gibt keine Aussage über den Zustand der Luo-Meridiane. (Pulse spiegeln den Zustand der Primärleitbahnen.)
• Die Luo-Gefäße fließen nur durch kleine Gelenke. Sie beeinflussen Fußgelenke, Ellbogen, Knie und erreichen die Haut. Sie fließen jedoch nicht in die großen Gelenke von Schulter und Hüfte, sondern umgehen diese.

Die Behandlung über das Luo-System ist ein wunderbarer Einstieg, auch für Therapeuten, die noch über wenig diagnostische Erfahrung verfügen. Mit den Behandlungen über die Luo geht es darum, dass der Patient die Wandlungen überhaupt wieder zulassen kann. Hier stehen das Fließen und die Stagnationen von Qi und Blut im Patienten im Vordergrund.
Blut ist in der Sprache der Chinesischen Medizin immer zugleich ein Synonym für Shen, für Emotionen. Deswegen hat die Behandlung der Luo in der daoistischen Tradition gerade wegen der psychoemotionalen Aspekte eine solch hohe Bedeutung.

Ziel der Behandlungen ist die Wiederbelebung und Wiedereingliederung abgespaltener Lebensthemen, die den Patienten in der Vergangenheit überfordert haben. So lassen sich die Qualitäten der verschiedenen Leitbahn-Qi wieder berühren. Dann erst können sie sich wieder unterstützen und gegenseitig begrenzen, damit wieder aufrechtes Fließen und Ordnung im nachgeburtlichen Qi entsteht. Nur wenn dieser Schritt vollzogen wird, kann der Patient zum Beobachter seiner Präsenz in der Gegenwart werden, durch den Prozess der Desidentifikation mit seinem Leiden. Damit löst er sich von der Abhängigkeit von der Störung, dem Schmerz, den Symptomen.

Bildung des Luo-Gefäßes mit Ansammlung
 

Wenn die Primärleitbahn und das Wei Qi mit (meist endogenen) Pathogenen überfordert sind, sinkt das Wei Qi nach Innen. Das Ying kommt ihm zu Hilfe, es bildet sich das Luo-Gefäß. Die Fähigkeit der Luo, die krankmachenden Faktoren festzuhalten, ist also eine Funktion des Ying, die Pathogene an Flüssigkeiten und Blut zu binden. Das belastet das Wei Qi und Ying. Das Blut wird dabei durch die Hitze beschleunigt. Im Inneren entsteht immer mehr Ansammlung.

In den Luo-Gefäßen geht es immer um Blut. Blut in der chinesischen Medizin ist gleichbedeutend mit inneren Themen. Die Aktivierung der Luo-Leitbahn erfolgt also v. a. durch interne Ursachen, dabei geht es immer um Emotionen und Entscheidungen zum Lebensstil, z. B. durch Fehlernährung, Alkoholmissbrauch, dem Lifestyle ganz im Sinne von Dr. Shens Zitat „your problem is your life…“. Die Luo-Gefäße erzählen von Abweichungen von den Primärleitbahnen. Aber tatsächlich sind die sichtbaren (Blutstase-) Zeichen die sichtbar gewordenen Abweichungen vom vorbestimmten Lebensweg, weg von unseren wahren Bedürfnissen. Oft geht es bei den Problemen um Themen im Leben, die uns zur Zeit derart überfordern, dass wir einfach nicht mehr weiter wissen. Diese Unfähigkeit, mit dem Problem umzugehen, kann z. B. im Wei Qi liegen (wobei das nicht mit Wei-Qi-Mangel verwechselt werden darf!) oder z. B. schlicht im mangelnden Willen, sich damit jetzt auseinanderzusetzen (Schwäche der Zhi der Nieren).

Das Problem ist damit nicht aus der Welt verschwunden, sondern nur vorübergehend aus dem Bewusstsein. Es kann zunächst im Unbewussten verweilen, statt den Menschen jetzt zu überfordern. Die Luo können wir uns vorstellen wie eine Rumpelkammer, in die wir den Krempel hineinstopfen, damit er uns jetzt nicht überlastet. Nur irgendwann ist auch die Abseite voll, der Inhalt quillt über, bis sich die Tür eines Tages nicht mehr schließen lässt… Entlasten wir die Luo-Leitbahnen, können sich unsere authentischen Qualitäten (chin. „de“) im Leben realisieren und unser Leben entwickelt sich mehr zu dem, was uns entspricht.

Entleerung des Luo zurück in die Primärleitbahn
 

Diese Ansammlung im Luo ist ein wichtiger Begriff, der nicht verwechselt werden darf mit den Begriffen von Fülle und Mangel einer Leitbahn. Ebenso ist die Entleerung des Luo ein eigenständiger Begriff. Beide bedeuten zunächst, dass Pathogene in das dafür entstehende Luo-Gefäß aus der Primärleitbahn hinein bewegt wurden. Kommt es irgendwann zur Entleerung der Luo zurück in die Hauptleitbahnen, weil das Ying in der Zwischenzeit erschöpft ist, dann ist allerdings auch ein Mangelsymptom entstanden. Nun sind das Blut und die Flüssigkeiten erschöpft, die bisher die Pathogene im Luo gebunden haben.

Ist die Luo-Leitbahn am Überlaufen und entleert sich, geht die Erkrankung zurück in die Primärleitbahn, womit die konstitutionelle Ebene des Jing erreicht wird. Der Punkt auf der Primärleitbahn, der mit der Konstitution die intensivste Verbindung hat, ist der Yuan-Quell-Punkt, in den sich das Luo-Gefäß entleert. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich die Behandlungsstrategie der kombinierten Luo- und Yuan-Punkt-Behandlungen. Der Yuan-Punkt liegt distaler auf dem Primärmeridian als der Luo-Punkt. D. h., dieser Mechanismus bildet eine Schleife, die einerseits eine Zeitverzögerung bringt und andererseits die Pathogene wieder zurück nach distal befördert.

Ab jetzt treten die Themen wieder ins Bewusstsein. Aufschieben und Verdrängen funktioniert nicht mehr. Der Patient wird gezwungen, sich dem Thema auf die ein oder andere Weise zu stellen. Ab hier wird die Erkrankung sehr offensichtlich symptomatisch, selbst wenn der nächste Abwehrmechanismus der divergenten Leitbahnen greift. Über die Primärleitbahnen könnten die Pathogene nun tiefer ins Meridian-System bis in die Organe eindringen. Die Luo-Leitbahn hat dies vorübergehend verhindert, weil sie keine Verbindung zu den Zang Fu hat. Werden sie jetzt nicht abgearbeitet, oder über die divergenten Leitbahnen an die großen Gelenke gebunden, dann besteht zunehmend Gefahr einer Schädigung der Zang Fu.

Verläufe erklären Symptomatiken

Wenn sich die Luo-Leitbahnen bilden und anfüllen, werden sie sichtbar. Hitze, Kälte und Blutstase zeigen sich durch Haut-/Farbveränderungen und gestaute kapillare Blutgefäße, z. B. Spider Naevi, Besenreiser. Sichtbarwerden bedeutet aber auch, dass sich die Pathologie nicht länger verstecken und verdrängen lässt und vom Patienten bemerkt wird, z. B. alles, was an die Oberfläche kommt und sich rebellisch entlädt, wie Schmerz, Ausscheidungen, HNO-Symptome. Dazu gehört auch das Festhalten und Nicht-Loslassen-Können im Sinne von muskuloskelettalen Verspannungen und Ausscheidungsschwierigkeiten wie Verstopfung und Harnverhaltung. Nicht zu vergessen: verdrängte emotionale Themen!

Zum Luo jeder Primärleitbahn gehören charakteristische Leitsymptome, die meist durch rebellierendes Qi (als Folge der reaktiven Hitzeentwicklung) entlang der Verläufe geprägt sind. Spannend ist, dass die sekundären Leitbahn-Verläufe in der Literatur eher spärlich und mit starken Abweichungen beschrieben werden – im Gegensatz zu den detaillierten Verläufen und Akupunkturpunkten der Primärleitbahnen. Betrachten wir die gängigen Atlanten, fehlen einige wichtige Teilverläufe, z. B. selbst in Deadmans „Handbuch der Akupunktur“, über die manche der Leitsymptome erklärbar werden [JCY04].

Tai Yin Luo (Lunge)
Verbindet die innere mit der äusseren Welt über die Grenzen von Haut/Lungen. Es geht um sein Engagement in der Umwelt und die Fähigkeit des Loslassens. Lunge bedeutet, dass jemand sich für die Welt interessiert, die Welt über seine Hände zu begreifen versucht. Mit dem Verlauf bekommt auch die im Ling Shu erwähnte palmare Hitze Sinn. Allerdings beschreibt sie nicht nur das körperliche Symptom. Die chinesische Sprache ist eine metaphorische, per se eine psychosomatische Ausdrucksweise. Shen-Störungen werden oft mit den physischen Beschreibungen inkludiert. Hier ist eine Anspielung auf ein chinesisches Sprichwort gemeint, dass jemand „viele Hände“ hat, also überall seine Finger drin hat. Er kann einfach nicht die Hände ruhig im Schoss halten, sucht ständig Aufmerksamkeit und Anerkennung im Aussen.
Häufiges Gähnen drückt den Drang aus, den Brustkorb zu öffnen, die Lungen nach Entleerung des Luo zu befreien. Das kann auch auf jemanden hinweisen, der von der Welt gelangweilt ist. Häufiges Wasserlassen und Inkontinenz beim Niessen bedeutet, Flüssigkeiten durch Absenken zur Blase nach draussen zu befördern.

Shao Yin Luo (He)
Verleiht Gedanken und Gefühlen Worte und was benannt ist, gehört zu mir. Wenn wir Herz und Pericard-Luo betrachten, ziehen beide in die Herzregion. Der Unterschied ist, dass der Herz-Luo weiter durch die Kehle zur Zungenwurzel und den Augen zieht. In den meisten Meridiankarten fehlt ein Nebenverlauf, der von der Achsel über Lu1/2 unterhalb der Schlüsselbeine zur Kehle zieht.
Ursprünglich war der Verlauf des Pericards der wahre Herz-Verlauf. Der Herzmeridian, wie er heute üblich ist, kam später hinzu. Gemäss Ling Shu wird der Herzmeridian nur benutzt, wenn tatsächlich körperliche Schmerzen entlang der Herz-Leitbahn auftreten, z. B. bei Angina pectoris. Gerade bei Shen-Störungen wird ansonsten der Pericard behandelt, der seinen Herzkaiser betrügt.
Die Brust fühlt sich bei Luo-Ansammlung bedrängt, beengt. Da ist etwas, das raus muss. Unfähigkeit, Emotionen wieder angemessen abebben zu lassen. Sich betrogen fühlen.
Symptome nach Entleerung zeigen sich durch langfristigen Verlust der Sprachfähigkeit, sowohl in der Artikulation wie beim Stottern, als auch dauerhaft nach Schlaganfall, als auch in der Verbalisierung. Es hat demjenigen allmählich die Sprache verschlagen, er kann sich immer weniger ausdrücken.

Jue Yin Luo (Pc)
Zurechtkommen mit Anforderungen, Selbstschutz durch Rationalisieren und Wappnen, aber auch Empathie, Offenheit und Interaktion. 
Der Pericard-Verlauf bleibt in der Brust konzentriert. 
Die Brust fühlt sich bei Ansammlung bedrängt, beengt. Zuwenig Kontrolle über Emotionen, alles dreht sich exzessiv um die eigenen Gefühle oder die von anderen.
Symptome nach Entleerung sind Steifigkeit und Schmerzen im Nacken. Sie ziehen hoch zum Kopf und schränken die Blutzirkulation ins Gehirn ein, um zu verhindern, dass die Hitze ins Knochenmark und ins Hirn dringt, z. B. bei Meningitis. Das ist ein Schutzmechanismus! Auch auf emotionaler Ebene verhindert die Nackensteifigkeit, dass wir etwas über uns selbst wahrnehmen müssen, das einfach zu schmerzhaft, zu traumatisch ist.

Tai Yang Luo (Dü)
Integriert Informationen, erlaubt Selbstreflexion und Anpassung von neuem Wissen durch erneutes Durchdenken, erlaubt neue Gedanken, Unsicherheit, Kritikfähigkeit.
Von den Arm Yin Luo geht es weiter zu den Arm Yang Luo, in den Verlauf des Tai Yang. Alle Verläufe der Arm Yang sind simpel, denn sie alle enden direkt im Bereich um Di15, weil das Luo am grossen Gelenk der Schulter endet und dort nicht weiter kann.
Symptome bei Ansammlung sind Ellbogen mit Atrophie, instabile Gelenke, Schiefhals. Unfähigkeit, die Welt zu erfassen. Dinge sind ungreifbar. Obessives Denken, Kritiksucht, überwältigendes Verhalten.
Symptome nach Entleerung sind Furunkulose, Hautausschläge. Jede Kritik verletzt tief, obsessiv. Unsicherheit zeigt sich durch Hyperaktivität gegenüber der aktuellen Aufgabe.

Yang Ming Luo (Di)
Zieht bis zu Di15, dort geht es nicht weiter. Es muss den Mist woanders hinbefördern, bloß nicht zu den großen Gelenken wie der Schulter. Also ab nach Außen und hoch zum Kopf zu den Sinnesorganen, über die Halsseite zum Kiefer rund um Ma5, zu Nase, Lippe, Ohr.
Symptome bei Ansammlung sind hypersensible Augen und Ohren.Taubheit blockiert die Wahrnehmung auf zuviel Input. Hochempfindliche Zähne auf Hitze, Zahnschmerzen, Zahnfleischbluten, Aphten, Zähnepressen, Knirschen, ewiges Rumkauen auf den Problemen, ewiges Wiederholen von Information.
Symptome nach Entleerung sind Kälte(-empfindlichkeit) in den Zähnen, Schwierigkeiten beim Kauen und Beissen, nicht mehr kraftvoll zubeissen können, Schwierigkeiten, Information aufzunehmen, zu verarbeiten, ungekaut runterschlucken. Taubheitsgefühl im Bereich des Zwerchfells (wie immer der Patient das auch beschreibt oder fühlt.)

Shao Yang Luo (SJ)
spiegelt die konstitutionelle Wandlungsphase des Patienten wider, verbunden mit tiefstem Yuan-Qi/Jing, das zeigt sich in gewohnheitsgemässem Denken/Handeln/Reaktionen/…/Schicksal - wer hier offen ist, kann sein Schicksal selbst gestalten
Von Di15 zieht er über den Nacken zum Brustkorb, über Ma17 nach Ren17. Ursprünglich gab es keinen Verlauf runter in den Bereich um Ren12, der kam später dazu. Deadman z. B. lässt ihn an den Brustseiten enden. Aber der SJ kommuniziert mit dem Oberen Erwärmer, später auch mit dem Mittleren.
Im Bereich um Di15 stauen sich kapillare Blutgefässe. Symptome bei Ansammlung sind Ellbogenbeschwerden mit Dislokation und Steifigkeit als Symbol für die Unfähigkeit, sich zu engagieren, zeigt, dass Verbindung zu anderen behindert ist.
Symptome nach Entleerung sind dagegen Ellbogenbeschwerden mit Schwierigkeiten beim Beugen, bzw. mangelnde Tragkraft im Unterarm. Desinteresse an der Außenwelt, alles ist demjenigen egal.

Tai Yang Luo (Bl)
Inneres Alarmsystem, das Reaktionsfähigkeit reguliert, Sympathikus-Funktion.
Nach dem Luo-Punkt geht seine Identität verloren, er verläuft gemeinsam mit dem Nieren-Luo zum Ni4-Bereich.
Symptome bei Ansammlung sind festsitzender Rotz, Sinusitis, Kopfschmerzen, die Nase voll haben. Hyperventilieren, Neigung zu Panikattacken durch überdrehte Alarmbereitschaft, Lumbalschmerz.
Symptome nach Entleerung sind wässrig laufende Nase, Nasenbluten, es rinnt geradezu aus der Nase, Dauerschniefen. Derjenige kennt keinen Stop. Der Alarmgeber ist abgestumpft, kaum noch Reaktion auf stressige Situationen.

Shao Yang Luo (Gb)
Entscheidungskraft und Fähigkeit, entschieden zu reagieren, neue Visionen zu entdecken durch Loslassen von alten Überzeugungen.
Der zweite Luo mit distalem Verlauf. Gb versucht die Ausleitung in die konstitutionelle Ebene zum Chong Mai rund um Ma42. Der Verlauf geht bis zu Le1, Mi1 am Grosszeh.
Symptome bei Ansammlung sind Yang-Mangel der Füße, kalte Füße/Beine, „kalte Füße“ bekommen, neue Situationen vermeiden, reagieren aus Gewohnheit ohne Offenheit für Alternativen, Blindwerden für neue Chancen bis zum Rückzug in Isolation.
Symptome nach Entleerung zeigen sich beim Aufstehen, wenn Patienten nicht auf den Füßen stehen können, Atrophie/Paralyse der Beine. Einsamkeit führt in die Depression oder chronische Abhängigkeiten

Yang Ming Luo (Ma)
Einfache Gefühle als Reaktion auf Sinnesreize.
Der längste Luo, entlang der Primärleitbahn, ohne Kontakt zu ZangFu! Beim Luo des Magens gibt es einen selten dargestellten Verlauf, der über den Scheitelpunkt Du20 zur anderen Kopfseite halsabwärts verläuft und oberhalb des Schlüsselbeins endet. Es ist das einzige Luo, das die Körperseite wechselt. Der Seitenwechsel ist wichtig, gerade wenn auch Symptome sich von einer zur anderen Seite bewegen. Ein Nebenverlauf geht zum Auge zu Bl1.
Symptome bei Ansammlung sind rebellierendes Qi, das die die Kehle betäubt, sich auf die Stimme schlägt bis zu plötzlichem (Unterschied zum Herz!) Stimmverlust. Gefühle geraten außer Kontrolle, Rechthaberei, Irrationalität. Dian Kuan Erkrankungen: vor Angst nicht klar Denken, Geisteskrankheiten, epileptische Anfälle.
Symptome nach Entleerung sind Bewegungseinschränkung, -unlust, Kraftlosigkeit, Steifigkeit der Füße, Beinathropie, mangelndes Gefühlsempfinden, Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit, Appetitlosigkeit (auch sexuell).

Tai Yin Luo (Mi)
Erfahrungen und Emotionen bekommen Zusammenhang, Lernfähigkeit, Erinnerung, soziale Fähigkeiten bilden soziales Netz
Der Verlauf zieht hoch zu den Organen, zum Magen und den Därmen, Dick- und Dünndarm. Im Prinzip können wir sagen, Yang Ming.
Symptome bei Ansammlung sind exzessives Denken, kreisende Gedanken, obsessive Emotionen, die verursachen Völlegefühl, Blähungen, scharfe Schmerzen und Koliken in der Mitte der Gedärme.
Symptome nach Entleerung zeigen sich in impulsivem Benehmen ohne Nachzudenken, unüberlegten Entscheidungen, verminderter Erinnerung/Konzentration. Das verursacht rebellierendes Qi, Durchfälle wie bei Dysenterie, Cholera, Bauchschmerzen mit trommelartiger Intestinalschwellung, fest, hart, elastisches Abdomen.

Shao Yin Luo (Ni)
Parasympathikus, Entspannungs- und Regenerationsfähigkeit, Selbsterhaltungstrieb,Verantwortung für die eigenen Gedanken, Gefühle, Handlungen.
Zieht hoch in den Bereich um Ni21, dann innerlich weiter abwärts durch die Genitalien in die LWS zu Ming Men. Das gibt den Kontext für die Herz-Nieren-Verbindung.
Symptome bei Ansammlung bestehen in immer gleicher impulsiver Reaktion aus Angst, Panik, Phobien, ohne die Situation zuerst zu erfassen. Rebellierendes Qi als reizbare Ängstlichkeit des Herzens und Depression, die zu Erstarrung und Völlegefühlen an den unteren Körperöffnungen, wie Verstopfung, erschwertes Wasserlassen, Harnretention führen.
Symptome nach Entleerung zeigen sich in ständiger Retraumatisierung mit chronischem Adrenalinüberschuss, Angst, Paranoia, Atemnot, Schmerzen in Genitalien und LWS.

Jue Yin Luo (Le)
Verläuft medial die Beine hoch zu den Genitalien.
Symptome bei Ansammlung sind abnorme (sexuelle) Erregbarkeit, Dauererektionen - nicht nur wörtlich!
Symptome nach Entleerung erscheinen als unerträglicher Juckreiz v. a. der Genitalregion. Es beisst einen, irgendwas zu tun, es juckt einen, endlich was zu tun. Das rebellierende Qi führt zu Genitalschwellungen und Harnwegsentzündungen bis zu Hernien.

Behandlungsstrategien für die Luo-Leitbahnen
 

Gemäß Ling Shu sollte der Patient jeden zweiten Tag mit blutigen Techniken behandelt werden. In den meisten Praxen ist solch ein dichtes Behandlungsintervall nicht praktikabel. Gua Sha als blutbewegende Technik vor der Nadelung intensiviert die Ausleitung und reduziert die Zahl der Behandlungen effektiv.

Parallel sollte der Patient animiert werden, selbst aktiv zu werden. Das kann durch körperliches Bewegen der Blutstase z. B. als Heimbehandlung mit GuaSha, Tigerwärmer, Moxa geschehen, v. a. auch auf der emotionale Ebene mit Übungen für den Alltag. So kann sich der Patient in kleinen Schritten dem eigentlichen Thema nähern, um es immer besser zu bewältigen. Generell ist sicherlich eine Serie an Behandlungen nötig.

Klassische Behandlung: Luo-Punkte blutig Nadeln

Wichtig ist zu verstehen, dass die Luo-Leitbahn und der Luo-Punkt selbst keine Pathogene behandeln. Die Luo-Leitbahn ist nur ein Depot, das ein Problem speichert, jedoch weder behandelt, noch abarbeitet. Sondern das Blut ist das Medium, das den pathogenen Faktor bewegt.

Die Behandlungsstrategie der Klassiker ist immer das Entlassen der gestauten Emotionen über das Blut mittels blutiger Nadeltechnik. Verwendet wurde dazu ursprünglich die Feng Zhen, die Dreikantnadel, für die heute eine sterile Einmal-Blutlanzette die naheliegendste Alternative ist. Es geht dabei keineswegs um Blutenlassen von großen Mengen aus der Tiefe, sondern um Penetration und Entlastung über die Oberfläche. Mittels ein bis max. zwei Tröpfchen Blut werden die Pathogene aus dem Inneren über die Oberfläche entlassen. Das lässt sich eleganter mit dem Pflaumenblütenhämmerchen oder mit einer Mikro-Picktechnik gemäss des „Durchstossen und Hebens“ mit einer modernen Akupunkturnadel ebenso erreichen.

Das Kriterium, in welchem Zustand ein Luo-Gefäß ist, ob in Ansammlung oder Entleerung, wird durch die Behandlung ermittelt. Zuerst wird Gua Sha über dem Bereich von Luo-Punkt und Verlauf des Meridians gemacht. Im Falle einer Ansammlung kommt das Sha an die Oberfläche, es zeigt sich Rötung (Hitze) oder Lividität (Kälte). Ist Ansammlung vorhanden, wird im Bereich des Sha oberflächlich blutig dispergierend genadelt. Zeigt sich kein Sha, ist der Bereich bereits entleert. Dann wird nach dem tonisierenden Blutenlassen der Luo-Punkt zusätzlich gemoxt.

(Die nächsten Termine des Qualitätszirkels Niederrhein zur Klassischen Akupunktur/Meridiantherapie widmen sich u. a. den Behandlungstechniken, die für die jeweiligen Meridiansysteme relevant sind. Interessierte KollegInnen sind herzlich eingeladen.)

Ergänzende Behandlungstechniken
 

Als zweiten Behandlungsschritt bietet sich an, evtl. sichtbar gestaute, oberflächliche Kapillarvenen auf dem Luo-Verlauf mit blutiger Nadeltechnik an den Enden der Verästelungen zu öffnen. Dabei sollte zwar das Gefäß an-, aber keinesfalls durchstochen werden.

Gua Sha und Schröpfen öffnen die Oberfläche, bewegen Blut und bringen mit dem Sha die Pathogene an die Oberfläche. In einem möglichen dritten Schritt könnte dies über blutbewegende Behandlung der entsprechenden Rückensegmente zusätzlich unterstützt werden.

Eine elegante, modernere Punktkombination koppelt den Luo- mit einem Yuan-Punkt. Bleibt man eher körperlich bezogen am Modell der pathogenen Ausleitung, verwendet man den Yuan-Punkt der jeweiligen Yin-Yang-gekoppelten Leitbahn.

Eine erweiterte Idee beschreibt Josef Weber-Bluhm [JWB12], der mit seinem „Weg zum Herzen“ die sechs Schichten und die Luo-Yuan-Kombinationen nochmals sehr elegant verschränkt. Seine Behandlungsserie mit den 12 Kombinationen spricht besonders die Patienten an, die mehr wollen, als nur ihre Symptome möglichst schnell weggemacht zu bekommen. Damit begleiten wir diejenigen, die ihr Inneres erkunden und verstehen lernen möchten, um den Weg zu sich zu finden.

Quellen
[JWB12] Josef Weber-Bluhm
Der Weg zum Herzen und der Weg des Herzens, Ebene VI: Die sechs Schichten und ihre luo-yuan- Kombinationen, Bacopa-Verlag, Schiedlberg, 2012 
[JCY01] Jeffrey C. Yuen,
Light on the Essence of Chinese Medicine: The NeiJing, Vol.I, Su Wen, New England School of Acupuncture, Script, 2001 
[JCY04] Jeffrey C. Yuen,
The Luo Vessels, The Channel System of Chinese Medicine, New England School of Acupuncture, Script, 2004 
[JCY08] Jeffrey C. Yuen,
The History of Ideas in Chinese Medicine, Part I: Early Chinese Medicine, The Evolution of Ideas and Techniques, New England School of Acupuncture, Script, 2008 
[TWI15] David Twicken,
The Luo Collaterals, A Handbook for Clinical Practice and Treating Emotions and The Shen Singing Dragon, London, Philadelphia 2015


Alle Rechte, soweit nicht anders angegeben, liegen bei der Autorin: 
Silja Thiemann
Hufeisen 27a
41352 Korschenbroich
heilpraktiker(at)shuidao.de
www.shuidao.de

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