Jasmin Reif, Düsseldorf/Essen
Alkoholismus ist eine chronische und lebenseinschränkende Erkrankung, die Millionen von Menschen weltweit betrifft. Während die westliche Medizin auf Medikation, Psychotherapie und Selbsthilfegruppen als Grundlage der Alkoholismus-Behandlung setzt, wächst das Interesse an komplementären Ansätzen.
Die ganzheitliche Herangehensweise der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) gewinnt zunehmend an Aufmerksamkeit als unterstützende Therapie von Alkoholismus.
Dieser Artikel beleuchtet die Prinzipien der TCM im Kontext von Alkoholismus und untersucht die Evidenz, die ihre Wirksamkeit bei der Bewältigung von Alkoholproblemen belegt.
TCM umfasst verschiedene Modalitäten wie Akupunktur, Chinesische Arzneimittel-Therapie und Qigong. Dabei werden Körper und Geist als ein miteinander verschmolzenes System betrachtet, und das Gleichgewicht dieser ist Voraussetzung für optimale Gesundheit. Die Störung des Gleichgewichts im Körper wird als Disharmonie-Muster beschrieben und gilt als Manifestation aller Leiden, einschließlich Suchterkrankungen.
Die Diagnosefindung in der TCM ist individuell. Es gibt nicht die eine Ursache für Alkoholismus. Vielmehr existieren verschiedene Disharmonie-Muster, die den Menschen dazu bringen, zu trinken oder nicht mit dem Trinken aufhören zu können. Um jemanden erfolgreich bei der Überwindung von Alkoholsucht zu unterstützen, ist es erforderlich, die genaue Diagnose der zugrunde liegenden Disharmonie im Körper zu stellen.
Die/Der TCM-Therapeut: in stellt dabei Fragen, um den Mehrwert des Alkohols für die Erkrankten zu verstehen. Geht es um „Stress im Alltag”, „Trauer”, „Wut” oder „Einsamkeit”? Wie sozial aktiv ist die/der Betroffene? Oftmals wird Alkohol konsumiert, um Spannungen abzubauen, weil das Leben überwältigend geworden ist und die als Stress empfundene Belastung nicht mehr kompensiert werden kann. In solchen Fällen behandelt die/der Therapeut:in beispielsweise den Lebermeridian, um „Leber-Qi-Stagnation” zu lösen sowie ein gesundes Umgehen mit Stress und Wut zu erarbeiten. In anderen Fällen kann der Konsum auf Einsamkeit und Trauer zurückzuführen sein, was eine Tonisierung des Herz- und Lungenmeridians erfordert.
Die Art des konsumierten Alkohols kann ebenfalls auf Disharmonien hinweisen. Hier ist der Geschmack der TCM-Fünf-Elemente-Theorie hilfreich. Bevorzugt die/der Betroffene säuerliche Getränke wie Weißwein, deutet dies auf eine Disharmonie im Lebermeridian hin. Bittere Alkoholika deuten auf den Herzmeridian und süße Geschmäcker auf den Milzmeridian hin. Je nach Muster werden die entsprechenden Meridian- oder Organsysteme anschließend tonisiert oder ausgeleitet. Es ist entscheidend zu erkennen, ob die/der Betroffene Hitze-, Kälte- oder Stagnations-Muster zeigt und im Sinne einer Harmonisierung des Körpers erwärmt, bewegt oder ausgeleitet werden muss. Was braucht der Körper, um Körperfunktionen wieder regulieren zu können und was hat er sich durch Alkoholkonsum selbst verschafft? In vielen Fällen ist Alkohol Selbstmedikation der/des Betroffenen.
Die TCM bietet auch Unterstützung, wenn die/der Alkoholkranke bereit ist, den Alkohol aufzugeben. Sie hilft dabei, den Geist (Shen) zu beruhigen und der/dem Betroffenen Unterstützung im Alltag zu geben. Oftmals geht Alkoholismus mit der Vernachlässigung von Verpflichtungen im täglichen Leben und im Beruf einher und es kann überfordernd wirken, das über Jahre entstandene Chaos anzugehen.
Akupunktur
Eine der bekanntesten Komponenten der TCM ist die Akupunktur. Im Zusammenhang mit der Behandlung von Alkoholismus wurde Akupunktur als Mittel zur Verringerung von Verlangen, zur Linderung von Entzugserscheinungen und zur Unterstützung der allgemeinen Genesung untersucht.
Im Bereich der klinischen Studien publizierte das Journal Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine eine Meta-Analyse (Shin et al., 2017) zur Verbesserung von Alkoholismus-assoziierten Symptomen durch Akupunkturbehandlung. Akupunktur zeigte hierbei gute Erfolge als Mittel zur Verringerung von Verlangen, Linderung von Entzugserscheinungen und Unterstützung der Genesung. Eine randomisierte Pilot-Studie in Alcoholism: Clinical and Experimental Research (Bullock et al., 1987) dokumentierte, dass Akupunktur bei stark alkoholabhängigen Personen das Verlangen nach Alkohol verringerte und Trinkepisoden sowie Einweisungen in Entgiftungszentren reduzierte. Die Mehrheit der behandelten Patient:innen empfand, dass Akupunktur einen klaren Einfluss auf ihr Verlangen nach Alkohol hatte.
Chinesische Kräutermedizin
Chinesische Heilkräuter zeigen ebenfalls vielversprechende Ergebnisse. Ein in China weit verbreitetes Heilkraut ist die Wurzel der Kudzu-Pflanze, bekannt als Ge Gen 葛根. Das Kudzu-Extrakt Daidzein zeigte in einer Studie (Lukas et al., 2005), publiziert in Alcoholism: Clinical and Experimental Research, eine signifikante Reduktion von Alkoholkonsum bei Proband:innen. Die in Frontiers in Pharmacology publizierte Studie (Qian et al., 2021) untersuchte die Wirksamkeit einer Reihe chinesischer Heilkräuter mit dem Ergebnis, dass Heilkräuter Alkoholkonsum-bedingten Knochenerkrankungen vorbeugen können.
Qi Gong
Die Forschung zu Qigong in der Alkoholismus-Behandlung zeigt ebenfalls positive Ergebnisse. Die klinische Studie des Integrated Intervention Program for Alcoholism (IIPA), publiziert in Asian Journal of Psychiatry dokumentierte eine signifikante Verbesserung der Selbstregulationsfähigkeit, des Allgemeinbefindens sowie eine Reduktion der Rückfallrate bei Menschen mit Alkoholismus unter Ausübung von Qigong.
Zusammenfassend bietet die Traditionelle Chinesische Medizin einen umfassenden Ansatz zur Behandlung von Alkoholismus, der körperliche und psychische Aspekte berücksichtigt. Klinische Studien zu Akupunktur, Chinesischen Heilkräutern und Qigong zeigen vielversprechende Ergebnisse in Bezug auf die Reduzierung von Alkoholverlangen, Linderung von Entzugserscheinungen und Unterstützung der Genesung. Die TCM hat somit das Potenzial, als wertvolle Ergänzung zu konventionellen medizinischen Ansätzen in der Alkoholismus-Behandlung zu dienen.
Bibliografie:
Bullock, M. L., Umen, A. J., Culliton, P. D., & Olander, R. T. (1987). Acupuncture Treatment of Alcoholic Recidivism: A Pilot Study. Alcoholism: Clinical and Experimental Research, 11(3), 292–295. https://doi.org/10.1111/J.1530-0277.1987.TB01310.X
Kumar, R., Kumar, K. J., Benegal, V., Roopesh, B. N., & Ravi, G. S. (2019). Effectiveness of an Integrated Intervention Program for Alcoholism (IIPA) for enhancing self-regulation: Preliminary evidence. Asian Journal of Psychiatry, 43, 37–44. https://doi.org/10.1016/J.AJP.2019.05.006
Lukas, S. E., Penetar, D., Berko, J., Vicens, L., Palmer, C., Mallya, G., Macklin, E. A., & Lee, D. Y. W. (2005). An Extract of the Chinese Herbal Root Kudzu Reduces Alcohol Drinking by Heavy Drinkers in a Naturalistic Setting. Alcoholism: Clinical and Experimental Research, 29(5), 756–762. https://doi.org/10.1097/01.ALC.0000163499.64347.92
Qian, D., Zhou, H., Fan, P., Yu, T., Patel, A., O’Brien, M., Wang, Z., Lu, S., Tong, G., Shan, Y., Wang, L., Gao, Y., Xiong, Y., Zhang, L., Wang, X., Liu, Y., & Zhou, S. (2021). A Traditional Chinese Medicine Plant Extract Prevents Alcohol-Induced Osteopenia. Frontiers in Pharmacology, 12. https://doi.org/10.3389/fphar.2021.754088
Shin, N. Y., Lim, Y. J., Yang, C. H., & Kim, C. (2017). Acupuncture for Alcohol Use Disorder: A Meta-Analysis. https://doi.org/10.1155/2017/7823278
Illustrationen: Jasmin Reif
Bildnachweis: Depositphotos/AGTCM
Praxis für Traditionelle Chinesische Medizin - Akupunktur & Chinesische Heilkräuter Medizin
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Jasmin Reif hat von 2005-2012 Freie Kunst in Düsseldorf studiert. In 2012 wanderte sie als Künstlerin nach London aus, wo sie 10 Jahre lebte und arbeitete. Von 2019-2022 studierte sie in London Traditionelle Chinesische Medizin mit Schwerpunkt Akupunktur und absolviert momentan ihren MSc in Chinese Herbal Medicine. Momentan unterhält sie zwei Praxen in Düsseldorf und Essen.
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