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Wirkung der Benzodiazepine in der TCM

Sabine Ritter, München

Viele Patient:innen finden am Abend nur mit Hilfe von Benzodiazepinen in den Schlaf. Im Laufe der Zeit lässt deren Wirkung jedoch nach, so dass sie die Dosierung erhöhen müssen – mit zunehmenden Nebenwirkungen bis hin zur Abhängigkeit. Berücksichtigt man die Ursache von Schlafstörungen aus Sicht der Chinesischen Medizin, verstärken Benzodiazepine bei einigen Patient:innen das zugrunde liegende Syndrom.

In Deutschland für die Kurzzeitbehandlung isolierter Schlafstörungen zugelassene Benzodiazepine und Benzodiazepin-Analoga (= Z-Substanzen)

Benzodiazepine: Flunitrazepam, Flurazepam, Lormetazepam, Nitrazepam, Temazepam und Triazolam

Z-Substanzen: Zaleplon, Zolpidem und Zopiclon

Benzodiazepin-Einnahme in Theorie und Praxis

Suchen Patient:innen bei Schlafstörungen eine:n Arzt/Ärztin auf, werden ihnen neben sedierenden Antidepressiva und niedrig potenten Neuroleptika häufig Benzodiazepine (s. Kasten) verordnet. Sie wirken je nach Dosierung einerseits sedierend und hypnotisierend und andererseits anxiolytisch, antikonvulsiv und muskelrelaxierend.[1-3] 

Primär gilt für die Verordnung von Benzodiazepinen die sogenannte 4-K-Regel:[1,2] 

  • Klare Diagnose
  • Kleinste Packung
  • Kein abruptes Absetzen
  • Kurze Anwendung

Alternativ zur Kurzzeitbehandlung können sich die Betroffenen für eine bedarfsregulierte Intervalltherapie entscheiden. In diesem Fall besprechen Arzt/Ärztin und Patient:in, wie oft pro Woche (z. B. 2 bis 3 mal) das Medikament eingenommen werden darf. In diesem Rahmen wird zudem vereinbart, wann der Wirkstoff wieder ausgeschlichen wird. Derweil sollte die Notwendigkeit der Behandlung engmaschig überprüft werden.[1,2] 

Mindestens ein Drittel der Patient:innen nehmen Benzodiazepine jedoch nicht nur im Rahmen einer Kurzzeit- oder Intervalltherapie, denn ihr Leidensdruck ist zu groß. Nach einer schlechten Nacht verbringen sie müde den Tag und gehen früh zu Bett, um Schlaf nachzuholen. Stellt sich der Schlaf dann nicht umgehend ein, helfen sie medikamentös nach, damit sie am nächsten Tag wieder ausgeschlafen sind.[1,4,5] 

Wirkung der Benzodiazepine aus Sicht der TCM

Benzodiazepine kühlen die Hitze im Herzen, senken das Yang ab und beruhigen den Shen. Dabei verändern sie das Schlafmuster, so dass der Anteil der Tiefschlafphasen abnimmt. Patient:innen mit entsprechender Diagnose werden von Benzodiazepinen vermutlich profitieren und diese gut vertragen. Doch Schlafstörungen können auch auf einer Milz-Qi-Leere, einer Herz- und Gallenblasen-Qi-Leere, einer Qi- und Blut-Leere, einer Blockade (yu) des freien Flusses des Leber-Qis, einer Nahrungsstagnation oder einer Schleim-Hitze beruhen. Zu den möglichen Nebenwirkungen von Zolpidem, einem vielfach verordneten Benzodiazepin-Analogon (s. Tabelle), zählen jedoch eine Milz-Qi-Leere, eine Qi- und Blut-Leere, eine Nahrungsstagnation oder eine Beeinträchtigung des freien Flusses von Qi. Es ist anzunehmen, dass Patient:innen anfälliger für die jeweiligen Nebenwirkungen sind, wenn bei ihnen ein entsprechendes Syndrom diagnostiziert wurde.[6,7] 

In der folgendenTabelle sind die sehr häufig bis gelegentlich auftretenden Nebenwirkungen von Zolpidem aus Sicht der TCM aufgelistet. Mehrfachnennung sind damit begründet, dass aus den Fachinformationen nähere Informationen beispielsweise zur Art und Lokalisation der Kopfschmerzen fehlen.[8] 

Die Einnahme von Benzodiazepinen kann zudem mit paradoxen Reaktionen einhergehen. Nervosität, Erregung, Unruhe, Hyperaktivität, Aggressionssteigerung und Schlafstörungen sowie Kopfschmerzen und Schwindel sind mögliche Hinweise darauf. Offensichtlich kann der kühlende Effekt der Wirkstoffe bei anfälligen Patienten eine Leber-Qi-Stagnation mit Stagnationshitze begünstigen.[7] 

Aufgrund der langen Eliminationshalbwertszeit vieler Benzodiazepine sind die Betroffenen am nächsten Morgen vielfach noch müde, was das Sturz- und Unfallrisiko erhöhen kann – mit schwerwiegenden Folgen für Senior:innen, die nach wie vor Benzodiazepine verordnet bekommen, obwohl die Wirkstoffe im Verzeichnis potentiell inadäquater Arzneistoffe für Senior:innen (Priscus-Liste) aufgeführt sind.[4,5,8,9]

Benzodiazepine langsam ausschleichen

Dennoch sollte man Patient:innen nicht dazu raten, die Arzneistoffe umgehend abzusetzen, wenn sie diese schon länger als vier bis sechs Wochen regelmäßig eingenommen haben, da sie unter Umständen bereits abhängig davon sind. Möglicherweise haben die Betroffenen beim Versuch, auf die Medikamente zu verzichten, bereits einen Rebound-Effekt mit Ängsten, Muskelzucken, Übelkeit, Erbrechen und Bewusstseinstrübungen erlebt. Oder sie schlafen beim Verzicht auf ihre Benzodiazepine schlechter als zuvor. Die Dosis sollte daher langsam, aber kontinuierlich über einen Zeitraum von vier bis zwölf Wochen verringert werden. Damit Entzugssymptome wie Schlafstörungen, Ängste, Stimmungsschwankungen, Myalgien, Tremor, Kopfschmerzen, Übelkeit, Appetitverlust oder Geräuschempfindlichkeit besser toleriert werden, sollte das soziale Umfeld in die Betreuung der Betroffenen eingebunden werden. Akupunktur und Phytotherapie können begleitend die auftretenden Symptome lindern und die Wurzel (Ben) der Beschwerden behandeln, so dass die Betroffenen zeitnah auch ohne Medikamente wieder gut schlafen. Dabei sollten mögliche Wechselwirkungen zwischen dem Arzneistoff und den eingesetzten Kräutern ausgeschlossen werden. [4,5,8]

Zum Weiterlesen

  1. Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). S3-Leitlinie: Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. 2017
  2. https://www.medikamente-und-sucht.de/behandler-und-berater/pharmakologie-und-behandlung/benzodiazepine.html
  3. Sabine Ritter: Arzneimittelwirkungen aus Sicht der TCM. München 2020

Quellen:
[1] Andreas Storm (Hrsg): Gesundheitsreport 2017. Berlin 2017 https://www.dak.de/dak/download/gesundheitsreport-2017-1885298.pdf

[2] Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). S3-Leitlinie: Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. 2017 (pdf nicht mehr online Verfügbar). Alternative verlängerte Version über AWFM online – https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/063-003l_S3_Insomnie-Erwachsene_2018-02-verlaengert.pdf

[3] Ernst Mutschler, Gerd Geisslinger, Heyo K. Kroemer, Sabine Menzel, Peter Ruth: Mutschler Arzneimittelwirkungen. Stuttgart 2013

[4] Brigitte M. Gensthaler: Schlaf statt Sucht. Pharmazeutische Zeitung 16/2017 https://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=68903

[5] Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) e.V. (Hrsg.) http://www.medikamente-und-sucht.de/behandler-und-berater/pharmakologie-und-behandlung/benzodiazepine.html

[6] Claudia Focks (Hrsg.): Leitfaden chinesische Medizin. München 2010

[7] Sabine Ritter: Arzneimittelwirkungen aus Sicht der TCM. München 2020

[8] Fachinformationen der Arzneistoffe unter www.fachinfo.de

[9] Priscus-Liste unter http://priscus.net/download/PRISCUS-Liste_PRISCUS-TP3_2011.pdf

Bildnachweise:
Depositphotos/AGTCM
 

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