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Schlafstörungen und ihre Ursachen aus Sicht der chinesischen Medizin

Birgit Ziegler, Bickenbach

Schlaf ist für die Gesunderhaltung und ein intaktes Immunsystem des Menschen absolut wichtig und unverzichtbar. Auf Unregelmäßigkeiten reagiert der Körper sehr sensibel. Ein nicht erholsamer Nachtschlaf kann bereits relativ schnell zu Konzentrationsstörungen und verminderter geistiger Leistungsfähigkeit führen. Nicht durchschlafen zu können oder ganze Nächte wach zu sein ist sehr anstrengend. Körper und Geist fehlen die Ruhephasen für eine ganze Reihe wichtiger Funktionen, was bei den Betroffenen möglicherweise zu einem hohen Leidensdruck führt.

Schlafmangel ist laut Definition nach ICSD-3 (International Classification of Sleep Disorders) vorhanden, wenn es mindestens dreimal pro Woche über einen Zeitraum von ein bis drei Monaten zu Ein- und / oder Durchschlafstörungen oder frühmorgendlichem Erwachen kommt.

Das moderne Leben mit viel Hektik und immerwährender Erreichbarkeit fordert seinen Tribut, wodurch der Stresspegel über Gebühr ansteigen kann. Aber auch Schichtarbeit ist einem gesunden Schlaf-Wachrhythmus nicht zuträglich. Viele Berufe kommen jedoch ohne Schichtarbeit nicht aus, man denke nur an die Versorgung von Kranken und Alten in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Darüber hinaus führen viele Lebensgewohnheiten zu Schlafstörungen.

Kommen Patient:innen mit diesem Leiden in die Praxis, so muss in der Anamnese eingehend nach den Lebensgewohnheiten gefragt werden, insbesondere, ob sie z. B. zu spät und zu schwere Mahlzeiten am Abend einnehmen, wie es mit dem Alkoholgenuss steht, aber auch „unverdauliche Kost“ in Form von Fernsehsendungen können den Schlaf rauben. Nicht unterschätzen sollte man störende Einflüsse, die die Schlafumgebung beeinträchtigen z. B. zu viel Licht, Lärm oder eine ungeeignete Matratze. Um einen guten Behandlungserfolg zu erzielen, gilt es, diese Co-Faktoren für Schlafstörungen abzustellen. Dies erfordert gewiss einige Umstellungsmühen bei den Patient:innen, aber je höher der Leidensdruck ist, desto besser wird es gelingen, störende Einflüsse auszuschalten.

Außerdem ist es wichtig, in der Anamnese alle weiteren Erkrankungen oder Befindlichkeitsstörungen zu erfragen, wie z. B. Kopfschmerzen, Migräne, Hypertonie, Probleme mit der Verdauung oder Nieren- und Blasenstörungen, aber auch Schilddrüsenüberfunktion und andere hormonelle Erkrankungen können zu Schlafstörungen führen.

Darüber hinaus sollten weitere, auch neurologische Erkrankungen ausgeschlossen werden. Weiterhin ist es unerlässlich, Auskunft über alle Medikamente, die eingenommen werden, zu erhalten, denn einige Medikamente können Schlafstörungen als Nebenwirkung auslösen. Dazu gehören auch bestimmte Antidepressiva und Schlafmittel. Obwohl diese gerade wegen Schlafstörungen verordnet werden, können sie jedoch in seltenen Fällen diese auslösen. Bluthochdruck-Medikamente, bestimmte Asthma-Medikamente, Schilddrüsenhormone, Kortison, Antibiotika, einige Mittel gegen Allergien (Antihistaminika) oder harntreibende Mittel können ebenfalls zu Schlafstörungen beitragen. Bei einer zu verordnenden Kräuterrezeptur müssen diese Substanzen mit in Betracht gezogen werden und auf mögliche Interaktionen ist zu achten. Eine hilfreiche Unterstützung dafür bietet das Buch von Sabine Ritter[1].

Anhand der beiden nachfolgenden Diagramme ist die Krankheitsentwicklung im Sinne der Chinesischen Medizin dargestellt.

Eine korrekte Anamnese ist wichtig für die richtige Auswahl sowohl der Akupunkturpunkte als auch geeigneter Rezepturen. Hierbei gilt natürlich das besondere Augenmerk der Puls- und Zungendiagnose. Die Farbe der Zunge gibt uns Auskunft darüber, ob es sich um einen Qi-, Blut- oder schon um einen Yin-Mangel handelt. Bei einem Qi-Mangel ist die Zunge entweder normalfarbig oder blass, bei einem Blut-Mangel zeigt sich die Zunge blass, dünn und trocken. Bei einem Yin-Mangel mit Hitze ist die Zunge jedoch rot und trocken mit evtl. einem Mittelriss bis zur Spitze und mehreren kleinen Rissen. An der Zunge lässt sich sehr schön die Krankheitsentwicklung ablesen, denn einem Yin-Mangel geht oft ein Blut-Mangel voraus.

Der Puls bei Qi-Mangel ist leer (Xu-Mai), dagegen leer und rau (Xu-Mai und Se-Mai) bei Blut-Mangel und Yin-Mangel kann einen oberflächlichen Puls zeigen, meistens aber einen feinen, verschwindenden Puls (Wei Mai). Die Übergänge von Qi- und Blut-Mangel sind in der Praxis oftmals fließend, aber eingedenk der Tatsache, dass alle Lebensfunktionen die Kraft des Qi brauchen, und auch das Einschlafen ein gewisses Quantum an Qi braucht, sollte man bei der Therapie sowohl bei der Auswahl der Akupunkturpunkte als auch der Auswahl von Kräuterrezepturen immer den Qi-Mangel-Aspekt mit bedenken.

Nachfolgend möchte ich drei Rezepturen für Schlafstörungen vorstellen. Vielleicht denkt man zunächst bei Schlafstörungen an die Rezeptur Tian Wang Bu Xin Tang. Um aber den Qi-Aspekt, neben dem Blut-Mangel, zu berücksichtigen, folgt hier

Suan Zao Ren Tang (Zizyphi spinosa semen Dekokt), Quelle: Jin Gui Yao Lüe

Die Rezeptur nährt Qi und Blut, klärt Hitze und besänftigt den Geist. Sie harmonisiert Hun, bringt Hun und Shen zusammen. Die Zunge muss blass sein, der Puls ist dünn, leer und rau (Xu-Mai, Se-Mai).

Heute wird in den meisten Fällen statt eines Dekoktes mit Wurzeln, Rhizomen und Blättern ein gebrauchsfertiges Granulat verordnet. Die angegebene Menge der einzelnen Bestandteile reduziert sich bei einer Granulatverordnung auf ungefähr 1/5.

Bei Qi-Mangel kann man der Mischung noch Ren Shen (Ginseng radix et rhizoma) und Huang Qi (Astragali radix) hinzufügen. Tritt auch Nachtschweiß auf, wäre an Wu Wéi Zi (Schisandrae fructus) zu denken. Möchte man dagegen das Blut noch ein wenig mehr stärken, könnte der Rezeptur noch Sheng Di Huang (Rehmannia radix) und Dang Gui (Angelica sinensis radix) hinzugefügt werden.

Diese Rezeptur eignet sich für Schlafstörungen, die man häufig bei Frauen in der Menopause findet, zusammen mit der Neigung zu Schwitzattacken. Die beginnende leere Hitze, die sich aus einem Leber-Blut-Mangel entwickelt, stört den Hun, unseren individuellen Seelenaspekt, der im Leber-Blut ruht, und der - so gestört - auf nächtliche Wanderschaft geht, was zu den Schlafstörungen führt.

Das nachfolgende Rezept ist bei stärkeren Symptomen der Schlafstörungen gedacht:

Chai Hu Jia Long Gu Mu Li Tang (Bupleuri radix, Fossilia ossis mastodi und Ostrae concha Dekokt), Quelle: Shang Han Lun. Sie besänftigt den Geist und harmonisiert das Shaoyang.

Die Zunge ist rot, der Puls ist schnell (Shuo Mai) und drahtig (Xian Mai).

Diese Rezeptur wird bei Schlaflosigkeit eingesetzt, wenn sie mit Depression einhergeht. Hinzu kann evtl. Gereiztheit kommen. Wenn in der Anamnese von Hypertonie berichtet wird, sollte man noch Gou Teng (Uncariae ramulus cum uncis) und evtl. Du Zhong (Eucommiae cortex) der Rezeptur hinzufügen.

Die erste Rezeptur diente der Behandlung eines Qi- und Blut-Mangels. Die zweite Rezeptur wird bei einer Hitze angewandt, die darauf hinweist, dass sich aus dem Blut-Mangel schon ein gewisser Yin-Mangel entwickelt hat.

Die folgende dritte Rezeptur behandelt eine Schlafstörung aufgrund einer Fülle, und zwar einer Fülle im Magen, die das Herz beeinträchtigt.

Gan Cao Xie Xin Tang (Glycyrrhiziae radix et rhizoma Dekokt, das das Epigastrium abfließen lässt), Quelle: Shang Han Lun.

Diese Rezeptur behandelt sehr gut Schlafstörungen, die sich durch ein Magen-Feuer und evtl. Magen-Schleim-Feuer entwickelt haben. Hier kann Alkoholkonsum zum Stressabbau eine Rolle spielen. Stressabbau findet aber nur vordergründig statt und wird bei längerem Konsum von Alkohol zum Magen-Feuer führen. Auch zu spätes und zu schweres Essen unterstützen die Entwicklung eines Magen-Feuers. Es entsteht eine Spannung im Epigastrium, und im Laufe der Zeit können Gastritis und Ulcera des Magens und Zwölffingerdarms hinzukommen. Dieses Symptomenbild mit Schlafstörungen findet man immer häufiger bei Frauen und Männern, die beruflich sehr unter Spannung stehen. Eventuell bestehende Magenbeschwerden oder Sodbrennen werden mit Säureblockern oder weiteren Medikamenten behandelt bzw. unterdrückt. Erst die unangenehmen Schlafstörungen weisen darauf hin, dass ein ernstes Problem besteht.


Quellen:
Giovanni Maciocia, Grundlagen der Chinesischen Medizin, Elsevier-Verlag, München
Skripte aus dem Ausbildungszyklus von Arnaud Versluys „Die kanonische chinesische Medizin“
Eigene Unterrichtsskripte aus ABZ Mitte

Referenz:
[1] Sabine Ritter „Arzneimittel-Interaktionen in der Phytotherapie“, 1. Auflage 2019, Verlag Systemische Medizin, Bad Kötzting.

Bildnachweise:
Depositphotos/AGTCM
 

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