Dr. Florian Ploberger, Wien
Entsprechend dem Thema „Schlafstörungen“ sollen in diesem Artikel zwei Rezepturen, die den Geist beruhigen, und somit bei entsprechender Diagnose gut zur Behandlung von Schlafstörungen eingesetzt werden können, vorgestellt werden.
Störungen des Shen können folgende Ursachen haben:
1. Mangel
Ein Mangel wie beispielsweise ein Herz-Blut- oder Yin-Mangel kann zu einer Störung des Shen führen. Als Symptome können Palpitationen, Angstzustände, Vergesslichkeit, Orientierungsstörung sowie Schlafprobleme auftreten. In diesem Fall sollten Blut und Yin genährt werden.
2. Fülle
Herz-Feuer entsteht durch Leber-Feuer. Die Symptome sind viel heftiger als bei einer leeren Hitze durch Yin-Mangel. Herz-Feuer entsteht durch langanhaltende emotionale Belastungen in Verbindung mit Alkohol, Drogen und zu scharfem Essen. Die Therapie ist eine andere wie bei einem Yin-Mangel. Die Zunge ist rot evtl. lang, weil die Hitze sie raustreibt, die Spitze ist nach oben gebogen. Sie hat einen gelben Belag. Der Puls ist voll (shi), schnell (shuo), überflutend (hong).
Es kann häufiger vorkommen, dass Störungen des Shen aus einer Kombination einer Fülle mit einer Leere auftreten, so dass bei der Zusammenstellung einer Therapie beide Faktoren berücksichtigt werden sollten. Wichtig ist es, Faktoren die zu einer Störung des Shen führen können, zu beseitigen. Dazu zählen: Reizüberflutung, emotionale Überlastungen, Schlafmangel, Konsum von Alkohol und Drogen.
Wirkung:
Beruhigt das Herz +++, beruhigt Shen ++, klärt Hitze + und nährt das Yin +.
Indikation:
Intensive Träume, Schlafstörungen, Herzklopfen, Reizbarkeit, Unruhezustände sowie Schreckhaftigkeit.
Entsprechende westliche Krankheitsbilder:
Insomnia, Palpitationen, Panikattacken, Neurosen, Psychosen, Neurasthenie sowie Mitralklappeninsuffizienz.
Zunge: Zungenkörper rissig, Spitze ist rot.
Puls: schnell (shuo), dünn (xi), im Herzbereich oberflächlich (fu).
Beschreibung der Rezeptur aus westlichen Kräutern:
Als Kaiserkraut dieser Rezeptur dient die bittere, leicht adstringierend wirkende, thermisch kühle Melisse (Folium Mellisae). Diese wird eingesetzt, um ein vorhandenes Herz-Feuer zu kühlen. In ihrer Shen-beruhigenden Wirkung wird sie durch das Ministerkraut Hopfen (Strobulus Lupuli) unterstützt. Dabei handelt es sich um ein Kraut, das im Bereich des Shao-Yin wirkt: Hopfen (Strobulus Lupuli) klärt Herz-Feuer und beruhigt den Geist und nährt das Nieren- und Herz-Yin. Auf diese Weise wird das Yin vor einer weiteren Verletzung durch die vorhandene Hitze geschützt. Lungenkraut (Herba Pulmonariae) befindet sich in der Rezeptur, um das Lungen-Yin zu nähren. Darüber hinaus wirkt dieses Kraut nährend auf die psychische Komponente der Lunge, das „Po“. Aus diesem Grund gilt Lungenkraut (Herba Pulmonariae) als das Polizeikraut dieser Rezeptur. Bei den nächsten drei Kräutern handelt es sich um Ministerkräuter: Rosenblüten (Flos Rosae), Passionsblume (Herba Passiflorae) und Weißdornblüten (Flos Crataegi). Diese Kräuter beruhigen das Herz und wirken klärend im Bereich des Shen. Sie entschleimen die Herzkanäle und können in Kombination mit den bitteren, thermisch kühlen Kräutern eingesetzt werden, um Angstzustände, Reizbarkeit etc. zu therapieren. Interessant ist, dass in Europa Weißdornblüten (Flos Crataegi) schon seit vielen Jahrhunderten als Herz beruhigendes Kraut verwendet wurden, während in China hauptsächlich Weißdornfrüchte (Fructus Crataegi) in Verwendung waren bzw. sind. In China werden diese eingesetzt, um das Milz-Qi zu tonisieren und die Resorptionsfähigkeit des Verdauungstraktes zu verbessern. Mandarinenschalen (Pericarpium Citri ret.) befinden sich als Polizeikraut in der Rezeptur, um das Milz-Qi zu tonisieren und Qi-Stagnationen im Bereich des Verdauungstraktes aufzulösen. Bei vielen Menschen, die unter Schlafproblemen, Angstzuständen, Panikattacken, etc., leiden, wirkt sich eine bestehende Qi-Stagnation auf den Bereich des Herzens aus. Aus diesem Grund sollten Kräuter, die eine Leber-Qi-Stagnation-auflösende Wirkung besitzen, nicht vergessen werden. Süßholz (Radix Glycyrrhizae) dient als Botschaftskraut dieser Rezeptur. Dieses kann eingesetzt werden, um den Geist (Shen) zu beruhigen. Außerdem harmonisiert es die Wirkungen der anderen Kräuter dieser Rezeptur.
Wirkung:
Nährt das Yin ++, tonisiert das Blut +, tonisiert das Herz + und beruhigt Shen ++.
Indikation:
Schlafstörungen, bzw. unruhiger Schlaf, Herzklopfen mit Unruhezustände, Schmerzen in der Herzregion, Reizbarkeit; Unfähigkeit, sich auch nur eine kurze Zeit zu konzentrieren; Gedächtnisschwäche, nächtliche Samenergüsse, trockener Stuhl, Entzündungen der Mundschleimhäute sowie Nachtschweiß.
Entsprechende westliche Krankheitsbilder:
Herzrhythmusstörungen, menopausale Beschwerden, chronische Urtikaria, Neurasthenie, Nykturie, Palpitationen, Stenokardien sowie Aphten.
Zunge: roter Zungenkörper mit wenig Belag.
Puls: dünn (xi), schnell (shuo).
Beschreibung der Rezeptur aus westlichen Kräutern:
Als Kaiserkraut dieser Rezeptur dient die bittere, thermisch neutrale Mistel (Herba Visci). Diese klärt Hitze und beruhigt den Geist. Zusätzlich nährt sie das Herz-, Leber- und Nieren-Yin. Unterstützt wird das Kaiserkraut durch mehrere Ministerkräuter: Ockergelber Hohlzahn (Herba Galeopsidis) tonisiert das Nieren-Yin und kontrolliert damit ein übermäßiges Aufkommen von Hitze, die den Geist (Shen) beeinträchtigen kann. Weißdornblüten (Flos Crataegi) dienen sowohl als Minister-, als auch als Botschaftskraut. Sie tonisieren das Herz-Qi. Die Kombination der Ministerkräuter Melissenblätter (Folium Melissae), Passionsblüten (Herba Passiflorae), Rosenblüten (Flos Rosae) und Johanniskraut (Herba Hyperici) tonisieren ebenfalls das Herz-Qi und beruhigen den Geist (das Shen). Der bittere, leicht adstringierende, thermisch kühle Hopfen (Strobulus Lupuli) klärt Hitze und beruhigt den Geist. Dieses Kraut besitzt eine nach unten gerichtete Wirkrichtung.
Ergänzt wird die Rezeptur durch das bittere, thermisch kühle Johanniskraut (Herba Hyperici). Dieses entschleimt die Herzkanäle und nährt das Yin. Zusätzlich kann das Ministerkraut Johanniskraut (Herba Hyperici) einer eventuell vorhandenen Leber-Qi-Stagnation entgegenwirken.
Bei dieser Rezeptur ist es empfehlenswert, vor der Einnahme der Kräuter einen Esslöffel Honig der Flüssigkeit hinzuzufügen. Honig dient als Botschafter in Richtung Herz und hat zusätzlich eine Herz-Blut-nährende und somit beruhigende Wirkung.
Literaturempfehlungen:
Ploberger, F. (2017) Westliche und traditionell chinesische Heilkräuter, Schiedlberg: Bacopa.
Ploberger, F. (2019) Rezepturen aus westlichen Kräutern für Syndrome der Traditionellen Chinesischen Medizin, 6. Auflage, Schiedlberg: Bacopa.
Ploberger, F. (2020) Das große Buch der westlichen Kräuter aus Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin, 5. Auflage, Schiedlberg: Bacopa.
Bildnachweise:
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