Birgit Ziegler, Bickenbach
Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Aspekt des Yi Jing[1][2][3] und den den Erdenzweig-Organen zugeordneten Hexagrammen. Im Gegensatz zu den 10 Himmelsstamm-Organen, die jeweils mit einem bestimmten Trigramm bezeichnet werden, sind die 12 Erdenzweig-Organe mit Hexagrammen belegt. Die beiden immateriellen Leitbahnen Pericard und Dreifach-Erwärmer gehören wie Herz und Dünndarm zur Wandlungsphase Feuer, so dass die 12 Erdenzweig-Organe in den fünf Wandlungsphasen repräsentiert sind. Wir sprechen also von den 10 Himmelsstämmen und 12 Erdenzweigen. Nachfolgend geht es nur um die Organe der 12 Erdenzweige. Die Organe selbst und die Zeiten, in denen sie ihre maximale Energie zur Verfügung haben, kennen wir schon aus der Chrono-Akupunktur. Auch die Einordnung in die fünf Wandlungsphasen ist bekannt. Deshalb wird nachfolgend nur die Verbindung zum Yi Jing und seinen Hexagrammen betrachtet, aus denen mit der Zunahme der Yang-Striche auf der linken Seite bzw. der Zunahme der Yin-Striche auf der rechten Seite sehr deutlich das Wechselspiel von Yang und Yin sowohl im Laufe der Tageszeiten als auch in den einzelnen Jahreszeiten offenbar wird.
Die zwölf Erdenzweige mit den ihnen zugeordneten Hexagrammen beginnen mit der Gallenblase in der Zeit zwischen 23.00 und 1.00 Uhr in der Nacht. Die erste Yang-Linie zeigt die erwachende Kraft des Donners an. Die Entwicklung setzt sich weiter fort links von unten nach oben und zeigt so den fortschreitenden Einfluss des Yang, indem bei jedem Erdenzweig ein Yang-Strich dazu kommt, bis man im Süden bei der Milz und dem Hexagramm Himmel (Qian) ankommt. Danach entwickelt sich langsam das Yin, zu sehen in der untersten Yin-Linie des Erdenzweigs Herz. Diese Entwicklung setzt sich auf der rechten Seite abwärts fort, bis zum Hexagramm 2 Kun, mit allen sechs Yin-Linien.
Eine weitere interessante Betrachtung der 12 Erdenzweige ergibt sich aus der Zuordnung der Organe zu den einzelnen Schichten, die dann wiederum mit einem Trigramm verbunden werden. Die Trigramme der drei oberen Schichten sind die Söhne der Erde: Donner, Wasser, Berg. Die Trigramme der unteren Schichten sind die Töchter des Himmels: Wind, Feuer, See.
nach Heiner Frühauf
1. Erdenzweig-Gallenblase (Ratte)
Zeit: 23.00 – 1.00 Uhr
Hexagramm 24 – Die Wiederkehr (Fù) – Der unverdorbene Neubeginn
Der Donner (Chen) als Symbol der Entstehungskraft befindet sich unter der Erde. Es ist das Zeichen der Wiederkehr des Lebens im Frühling. Er leitet eine Periode der Fülle nach einer langen Regenerationsphase im Winter ein. Das erwachende Yang bahnt sich ungehindert seinen Weg nach oben zum Durchbruch.
2. Erdenzweig-Leber (Büffel)
Zeit: 1. 00 – 3.00 Uhr
Hexagramm 19 – Die Annäherung (Lín) – Die Gunst der Stunde
Der See (Dui) unter der Erde zeigt einen unerschöpflichen Vorrat in der Erde. Es ist ein Zeichen inneren Reichtums, der in Zeiten des Wachstums zur Verfügung steht. Die nach oben strebenden Yang-Kräfte verstärken sich, zu sehen in den beiden untersten Yang-Linien. Es ist die energiereichste Zeit des Jahres, in denen sich alles Leben erneuert und groß und stark wird.
3. Erdenzweig-Lunge (Tiger)
Zeit: 3.00 – 5.00 Uhr
Hexagramm 11 – Der Friede (Taì) – Der Himmel auf Erden
Der Himmel unter der Erde zeigt das harmonische Gleichgewicht zwischen der schöpferischen Kraft des Himmels und der empfangenden Erde. Das Zeichen Taì ist dem Monat Februar und der Lunge zugeordnet. Eine neue Zeit der Fruchtbarkeit bereitet sich vor. Wenn das Schöpferische und das Empfangende in einem ausgeglichenen und aufeinander zugehenden Verhältnis stehen, so ist es eine Zeit des Himmels auf der Erde. Das Yang des Himmels (unteres Trigramm) in Form der Atemluft durchströmt den Körper (oberes Trigramm Erde).
4. Erdenzweig-Dickdarm (Hase)
Zeit: 5.00 – 7.00 Uhr
Hexagramm 34 – Die große Macht (Dá Zhuàng) – Der himmlische Einklang
Der Himmel unter dem Donner, dessen erregende Kraft sich mit der Macht des Himmels vereinigt. Dieses gewaltige Potential an Kraft ist die Macht, welches Gerechtigkeit und allgemeine Ordnung zu schaffen vermag. Im Körper kündigt der Donner die Kraft des Dickdarms an, der sich mit dieser Macht des körperlichen Abfalls entledigt.
5. Erdenzweig-Magen (Drachen)
Zeit: 7.00 – 9.00 Uhr
Hexagramm 43 – Der Durchbruch (Guài) – Die Entschlossenheit
Der Himmel unter dem See (Dui) zeigt die Kraft des schöpferischen Himmels, der die Wahrhaftigkeit des äußeren Wesens verstärkt. Einem positiven Fortschritt steht nichts mehr im Wege. Ebenso stellt das Zeichen einen nach oben geöffneten Mund dar, der bereit ist Nahrung aufzunehmen und auf der spirituellen Ebene sich den wertvollen Dingen zu öffnen. Zur Transformation der Nahrung bedarf es einer gehörigen Umwandlungskraft, ausgedrückt in dem unteren Trigramm Himmel.
6. Erdenzweig-Milz (Schlange)
Zeit: 9.00 – 11.00 Uhr
Hexagramm 1 – Der Himmel (Qián) – Das Schöpferische
Die sechs Yang-Linien des Himmels stehen für den Charakter und die Wirkung der einheitlichen starken Kraft des Schöpferischen in allen Bereichen des Seins. Qián (der Himmel) ist das Sinnbild der Energie, die allen Formen zugrunde liegt. Er ist der bewegende Gegenpol zur aufnehmenden Erde und damit auch das Sinnbild der Zeit als Dauer in der Bewegung. Der Himmel als bewegender Impuls, der die Grundlage für jede weitere Form der Entwicklung schafft. Die Milz als ein Organ der Erde, die es warm und trocken liebt, zeigt in diesem Hexagramm die Nähe zum schöpferischen Himmel.
7. Erdenzweig-Herz (Pferd)
Zeit: 11.00 – 13.00 Uhr
Hexagramm 44 – Das Entgegenkommen (Gòu) – Das Verführerische
Der Wind unter dem Himmel tritt hier als Bote in Erscheinung, der gesandt ist, um den Willen des Himmels zu erfüllen. Das Zeichen ist der Sommersonnenwende zugeordnet, einer Zeit, in der die Natur in ihrer ganzen Fülle erstrahlt. Aber trotz der betörenden Pracht, verliert das zuvor einheitliche Starke langsam seine Kraft, siehe unterste Yin-Linie. So wie das Hexagramm des Magens einen geöffneten Mund zeigt, weist im Hexagramm 44 der untere Yin-Strich darauf hin, dass alle störenden Einflüsse und Emotionen aus dem Herzen fließen sollen und der Kaiser ungestört den Willen des Himmels erfüllen kann.
8. Erdenzweig-Dünndarm (Schaf)
Zeit 13.00 – 15.00 Uhr
Hexagramm 33 – Der Rückzug (Dùn) – Die innere Beharrlichkeit
Der Berg strebt dem Himmel entgegen. Er steht als Verkörperung des Schöpferischen im Dienst des Himmels, besitzt aber nur ein Attribut seiner Stärke. So bleibt er in seiner aufsteigenden Bewegung schließlich stehen, weil seine Kraft sich erschöpft. Der Rückzug ist eines der zwölf Gezeiten-Hexagramme, die das Auf- und Absteigen des Qi in den einzelnen Monaten des Jahres, bzw. den einzelnen Stunden des Tages zeigen. Das Hexagramm 33 ist dem Monat August zugeordnet, in dem die Kraft des Schattigen im Aufsteigen begriffen ist. Dem Zeichen wohnt die Ahnung der Vergänglichkeit inne.
9. Erdenzweig-Blase (Affe)
Zeit: 15.00 – 17.00 Uhr
Hexagramm 12 – Die Stockung (Pi) – Das mangelnde Einvernehmen
Das Hexagramm zeigt den zunehmenden Einfluss der konstriktiven Yin-Kräfte, die das nahende Ende der lichten Sommerzeit andeuten. Während das irdisch Vergängliche immer mehr die Oberhand gewinnt, zieht sich das endlos Starke in die Verborgenheit zurück. Das Rad der Wandlung erreicht die Zeit des Niedergangs. Die expansiven Yang-Kräfte nehmen ab und die konstriktiven Yin-Kräfte gewinnen die Oberhand. Die Blase regiert die unteren Yin-Tore des Körpers, dargestellt in den drei Yin-Linien des unteren Hexagramms Erde, die andeuten, dass die Reste der aufgenommenen, lebendigen Nahrung den Körper ungehindert verlassen müssen.
10. Erdenzweig-Niere (Hahn)
Zeit: 17.00 – 19.00 Uhr
Hexagramm 20 – Die Betrachtung (Guan) – Der höhere Blickwinkel
Der Wind weht über der Erde. Es ist der Wille der höchsten Kraft, der im Sinnbild des Windes alles Lebendige durchdringt und es zur Vervollkommnung anregt. Das Hexagramm gleicht einem Turm, von dessen Plattform aus man einen weiteren Überblick über das umliegende Land gewinnt. Die Erfahrung eines fast vollendeten Zyklusses erleichtert die Betrachtung der Lebensvorgänge in der Außenwelt, aber auch die kontemplative Versenkung nach innen. Der Wind an der oberen Stelle des Hexagramms ist das Symbol für sanfte, aber durchdringende Bewegung. Die Erde an unterer Stelle gibt Raum, hält still und steht für Weichheit und Offenheit.
11. Erdenzweig-Pericard (Hund)
Zeit: 19.00 – 21.00 Uhr
Hexagramm 23 – die Zersplitterung (Bo) – Der Zerfall
Das Hexagramm stellt ein Haus dar, dessen ehemaliger gesunder Untergrund geschwächt ist und nur durch ein stabiles Dach zusammengehalten wird (oberste Yang-Linie). Nicht greif- und sichtbare Elemente haben die tragenden Mauern langsam unterhöhlt. Wenn das Dach auseinanderbricht, fällt das ganze Haus zusammen. Das Zeichen zeigt, dass der unaufhaltsame Umschwung zu etwas Neuem nicht mehr aufzuhalten ist. Die fünf Yin-Linien zeigen, dass eine Zeit der Zurückgezogenheit und Ruhe angebrochen ist, um in der Ruhe und Stille die Kraft für ein neues Erwachen zu sammeln.
12. Erdenzweig-Dreifach-Erwärmer (Schwein)
21.00 – 23.00 Uhr
Hexagramm 2 – Die Erde (Kun) – Das Empfangende
Kun, die Erde oder das Empfangende, ist das ergänzende Gegenstück zu Qian, dem schöpferischen Himmel. Sie ist das Räumliche als Ergänzung zum Zeitlichen, das Materielle als Ergänzung zur Energie. Während die schöpferische Energie den Dingen Leben einhaucht, werden sie von der Erde geboren. Das Zeichen zeigt die Bereitstellung des Raumes für die Bewegungen der schöpferischen Energie an. Es ist auch ein Symbol der uneingeschränkten Offenheit, der Kanal der Offenbarung, der durch die Mitte hindurchgeht. Dieser wird auch als Tor des geheimnisvollen Weiblichen bezeichnet, durch das alle Wunder hervortreten. Es kann auch als Zeichen einer alles bewegenden Kraft gedeutet werden, die sich durch die nährende Erde offenbart.
[1] nach Heiner Frühauf
[2] Richard Wilhelm, I Ging
[3] René van Osten, Yi Jing
Illustrationen: nach Heiner Frühauf
Heilpraktikerin
Studium der Chinesischen Medizin ab 1990 in Sri Lanka, Deutschland und China.
Von 1997 – 2016 Dozentin für Akupunktur im ABZ Mitte und in der Lehrpraxis des ABZ Mitte, Kooperationsschule der AGTCM in Offenbach.
Bis 2016 verantwortlich für die Studienreisen der AGTCM zur Partneruniversität, der CDUTCM in Chengdu.
Von 1999 – 2007 und 2019 – 2024 2. Vorsitzende der AGTCM.
Publikationen:
Noll/Ziegler „Der ältere Patient in der Chinesischen Medizin“, Elsevier-Verlag
Ziegler/Ritter „Kopfschmerzen in der Chinesischen Medizin“, Verlag Müller & Steinicke
Ziegler/Ritter „Bi-Syndrome in der Chinesischen Medizin“, Verlag Müller & Steinicke
In eigener Praxis tätig seit 1992
E-Mail: ziegler(at)agtcm.de
www.tcm-ziegler.de
www.agtcm.de
Die Chinesen beobachteten über Jahrtausende das Klima und sich wiederholende Wettermuster, mit dem Ziel, widrigen Wetterbedingungen ihrer auf Agrarwirtschaft ausgelegten Gesellschaft gewachsen zu sein. Später weiteten sie ihre Forschungen auf die Auswirkungen auf den Menschen aus und fanden vergleichbare Muster und sogar Gesetzmäßigkeiten, die auch einer gewissen Voraussagbarkeit unterlagen.
Mehr erfahrenDie AGTCM entwickelt und sichert die Zukunft der Chinesischen Medizin.
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