Charlotte Sachter, Hamburg
„Wer sich auf die Behandlung der Mitte versteht, vermag alle Funktionskreise einzustimmen.“[1]
So einfach die Symptome der Nahrungsmittelunverträglichkeiten in der TCM anhand der Syndromenlehre zu klassifizieren sind, so komplex ist ihre grundlegende westliche Differenzierung und die daraus folgende Berücksichtigung für eine TCM-Ernährungsberatung oder eine Kräutergabe.
Sie braucht Informationen über Kreuzreaktionen, Unverträglichkeiten von bestimmten Lebensmitteln, Zusatzstoffen oder Pflanzenfamilien, bevor es zur konkreten Beratung oder Rezeptur kommt. Selbst bei der Akupunktur, wenn Nadeln entsprechend beschichtet sind, ist es notwendig, eventuelle Unverträglichkeiten abzufragen. Die Schautafel des VAEM (Verein zur Förderung der Allergie- und Endoskopieforschung am Menschen e. V. https://vaem.eu/mission/) gibt einen Überblick über Allergie, Unverträglichkeit und Intoxikation.
Grafik mit freundlicher Genehmigung des VAEM e. V.
(https://vaem.eu/wissensdatenbank/diagnose/definition/)
Das Feld der Unverträglichkeiten und sensiblen Reaktionen auf Lebensmittel oder ihre Zusatzstoffe wird immer größer. Dazu kommen die unzähligen medialen Informationen von „Dos and Don’ts“ von „Powerfood“ und „Must-haves“. Die einen sind verunsichert, die anderen so überzeugt, dass der Körper keine Chance hat, mit seinen eigenen Informationen und Signalen verstanden zu werden.
Bevor ein Blick auf die Ernährung selbst gerichtet werden kann, beginnt bei vielen das Dilemma schon bei der mechanischen Zerkleinerung von aufgenommenen Nahrungsbestandteilen. „Bereits im Mund wird durch das Enzym Ptyalin die Stärke in Zweifachzucker (Maltose = Malzzucker) zerlegt. Je besser und länger man seine Nahrung im Mund zerkaut, desto leichter und schneller erfolgt später die Endverdauung im Dünndarm.“[2] Wissensvermittlung in der Schule. Warum greifen diese logischen Körperzusammenhänge nicht?
Wenn Stress, Ablenkung und eine fehlende Kultur des Essens und der Lebenspflege zusammentreffen
Für viele mag eine Nahrungsmittelunverträglichkeit (NMU) hausgemacht sein und der Mangel an Struktur scheint sich in der Verdauungsleistung zu spiegeln. Einseitige Ernährung, Antibiotika, Rauchen erschöpft und verringert die Diversität der Darmbakterien. Das Mikrobiom verändert sich. Diese wiederum nehmen Einfluss auf das Milieu und auf die Mucusbildung. Besonders das Reizdarmsyndrom und endogene Entzündungen, die zum Leaky-Gut-Syndrom führen, werden in diesem Zusammenhang gesehen.
Allerdings wäre es zu kurz gedacht, all jene, die bewusst essen und leben, auszuklammern. Sie leiden ebenso unter Störungen, die zur Nahrungsmittelintoleranz führen. Sei es, dass die fehlende enzymatische Spaltung eine Resorption aus dem Darmlumen unmöglich macht, oder die Transportleistung, z.B. des Fruktosetransporters GLUT-5 in der Dünndarmmukosa, gestört oder überfordert ist.[3]
Auch hier entstehen entzündliche Schleimhautirritationen im Darm. Sie führen zu einer Malabsorption der Nahrungsspaltprodukte sowie von Mikronährstoffen. Auch hier korreliert dies mit einer gesteigerten Durchlässigkeit der Darmschleimhaut (LeakyGut), wodurch Nahrungsmittelallergene in größeren Mengen die Mucosa durchdringen und somit den Körper mit „Fremdkörpern“ belasten.
„Ohne das Wissen um die richtige Ernährung ist es kaum möglich, sich einer guten Gesundheit zu erfreuen."[4]
Wenn wir davon ausgehen könnten, dass Menschen mit Verdauungsproblemen überwiegend selbst und frisch kochen würden, dann wäre eine Beratung sehr viel einfacher. Wir alle wissen, dass Verdickungsmittel, Füllstoffe und funktionale Additive, wie labortechnisch erzeugte Enzyme[5] in Lebensmitteln Ursache für den Anstieg von Verdauungsstörungen und Störungen des Darmmilieus sind. Wenn es eine gute Frage in der NMU-Diagnostik gibt, so lautet sie: „Was noch?“ Denn oft bleibt es nicht bei einer Intoleranz.
Wenn Intoleranzen in Gruppen auftreten
Die Laktoseintoleranz, z.B., tritt zu 85 % in Kombination mit einer Fruktoseintoleranz auf. Die wiederum koppelt sich in 25 % der Fälle mit einer Sorbitunverträglichkeit. Menschen mit einer Fruktoseintoleranz vertragen keine resistente Stärke, die hoch gelobt und oft empfohlen wird. Ebenso wird „modifizierte Stärke“ wie sie in so vielen verarbeiteten Lebensmitteln zu finden ist, nicht vertragen. Dies ist nur ein Beispiel von vielen. All diese Verquickungen und Einflüsse lassen sich in einem kurzen Text nicht zusammenfassen. So ist um die gängigste Diagnose „Reizdarmsyndrom“ eine Mindmap entstanden, um diese Zusammenhänge gebündelt darzustellen:
Legende:
SIBOS – Bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarms
HIT – Histamin-Intoleranz
MCAS - Mastzellaktivierungssyndrom
CED – Chronisch entzündliche Darmerkrankung
RDS – Reizdarmsyndrom
“Das richtige Essen kann krankmachende Faktoren zurückschlagen, die Zang-Fu harmonisieren, den Geist anregen und Qi und Blut stärken!”[6]
YANG SHENG - Was heißt falsches Ess- und Lebensverhalten?
Li Dong, Yuan (Li, Gao) sagt in seiner „Abhandlung über Milz und Magen“: „Daraus folgt, dass eine unregelmäßige Nahrungsaufnahme und die mangelnde Mäßigung (bei der Nahrungsaufnahme) sowie die Aufnahme kalter und heißer (Nahrungsmittel) Milz und Magen schädigt. Freude, Zorn, Sorge und Angst können das Ursprungs(Yuan)-Qi schädigen und als Folge davon wird das Herz-Feuer begünstigt. Feuer und das Ursprungs-Qi befinden sich in einem ständigen Widerstreit. Wenn das Feuer triumphiert, wird das Erdelement dadurch überwältigt. Dies verursacht die Entstehung von Krankheiten.“[7]
Bevor jedoch eine falsches Ess- oder Lebensverhalten als alleinige Ursache bescheinigt wird, ist es ratsam, zumindest die enzymatischen und die Transportstörungen der NMU ausschließen zu können. Oft kommen zu diesen Grunderkrankungen dennoch dem Zeitgeist entsprechende Verhaltensweisen zum Tragen:
Zuletzt sei noch erwähnt, dass die Bauchmassage Chi Nei Tsang auch in der Selbstanwendung den Patient:innen ermöglicht, sich selbst zu helfen, wenn Spannungen, Bauchschmerzen und Stress das Leben behindern.
Weiterführende Literatur westlich:
Literatur:
[1] Lorenzen, Udo; Noll, Andreas: „Die Wandlungsphasen der Chinesischen Medizin, Band 3, Wandlungsphase Erde“ (Verlag Müller & Steinicke München; 2. Al. 2012); S. 75, Zitat von Zhang Jie Bin
[2] „Bereits im Mund wird durch das Enzym Ptyalin die Stärke in Zweifachzucker (Maltose = Malzzucker) zerlegt. Je besser und länger man seine Nahrung im Mund zerkaut, desto leichter und schneller erfolgt später die Endverdauung im Dünndarm.“ Vgl.: https://www.br.de/alphalernen/faecher/biologie/4-verdauung-mund-und-zunge100.html
[3] Vgl. https://flexikon.doccheck.com/de/Verdauung
[4] Lorenzen, Udo; Noll, Andreas: „Die Wandlungsphasen der Chinesischen Medizin, Band 3, Wandlungsphase Erde“ (Verlag Müller & Steinicke München; 2. Al. 2012); S. 75, Zitat von Sun Si Miao
[5] Zusatzstoffmuseum: Verdickungsmittel + Füllstoffe, S. 64-75, S 76-79, Enzyme, S. 162-169, Funktionale Additive, S. 171-183 (Pollmer, Udo: „Zusatzstoffe von A bis Z – Was Etiketten verschweigen“ (Herausgegeben vom Deutschen Zusatzstoffmuseum, Hamburg 2017)
[6] Lorenzen, Udo; Noll, Andreas: „Die Wandlungsphasen der Chinesischen Medizin, Band 3, Wandlungsphase Erde“ (Verlag Müller & Steinicke München; 2. Al. 2012); S. 75, Zitat von Sun Si Miao
[7] Li Dong, Yuan (Li, Gao): „Abhandlung über Milz und Magen – Eine Übersetzung des Pi Wei Lun“ (Verlag für ganzheitliche Medizin, Dr. Erich Wühr GmbH, 2003), S. 25 aus Kap. 1: Über die Umwandlung von Leere und Fülle in Milz und Magen
Bildnachweise:
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