Die chinesische Gesellschaft wird in der Regel als relativ prüde angesehen. Und doch haben chinesische Ärzte und daoistische Meister die Sexualität schon vor 2000 Jahren erforscht. Sie ist wesentlich zur Erhaltung der Gesundheit. Als Vereinigung von Yin und Yang ist Sexualität aber auch ein kosmisches Prinzip, das weit über den Geschlechtsakt hinaus weist, erklärt Dr. Carlos Cobos Schlicht im Podcast.
Wer dem Sinologen zuhört, merkt bald, dass das Verhältnis der Chinesischen Medizin zur Sexualität facettenreich ist. Der Konfuzianismus und der Daoismus lehren völlig unterschiedliche Sichtweisen, auch in ihrer Einstellung zur Frau. Als der Konfuzianismus im zweiten Jahrhundert immer mehr zur Staatsdoktrin erhoben wurde, war das Idealbild der Frau, dass sie fügsam ist und dem Mann Söhne gebärt. Im Daoismus hingegen galt die Frau schon immer als Mysterium, weil sie Leben gebären konnte. „In China heißt es: Äußerlich bin ich Konfuzianer, aber in Haus bin ich Daoist“, erklärt Cobos Schlicht.
Es gibt drei verschiedene Sorten von Schriften zur Sexualität: Erstens Handbücher, die Techniken des Beischlafs erklären. Sie sollen auch helfen Schädigung durch zu häufigen Sex zu vermeiden – ein Problem der wohlhabenden Männer, die mehrere Frauen zu beglücken hatten. Zweitens medizinische Schriften, in denen es darum geht, Krankheiten zu heilen. Auf den berühmten Arzt Sun Simiao geht der Ausspruch zurück: „Benutze den Beischlaf als Medizin.“ Letzten Endes ging es darum, dass der Mann durch bestimmte Sexualpraktiken Langlebigkeit erreicht. Die dritte Kategorie von Schriften richtete sich hauptsächlich an Mönche und Übende daoistischer inneralchemistischer Methoden. Hier war das Ziel, sexuelle Energie in der Meditation zu transformieren und auf diese Weise zur Erleuchtung (bzw. Unsterblichkeit) zu gelangen.
Im zweiten Teil des Podcasts geht der Sinologe Cobos Schlicht besonders auf die medizinischen Schriften ein. Hier wird auch den Zyklen des Beischlafs besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Schon lange vor der Forschung der Amerikaner William Masters und Virginia Johnson, die in den 1960 mit der Publikation des Buchs „Die sexuelle Reaktion“ Aufsehen erregten, kannten die Chinesen die Phasen der sexuellen Erregung bei der Frau. Der Mann wurde dazu aufgefordert, sie zu beachten und sich selbst zurückzuhalten, um „in Einheit mit der Frau zu kommen“.
Carlos Cobos Schlicht wirbt dafür, auch in unserer westlichen Gesellschaft anders mit Sexualität umzugehen. Sich von den Bildern aus Filmen zu lösen, in denen die sexuelle Vereinigung meist schnell auf einen fulminanten Höhepunkt zusteuert. Stattdessen sollten wir, wie beim Qi Gong, Bilder kreieren, die uns helfen, uns selbst in unserer Wesenheit wieder zu erkennen. „Die Frage: Wie lernen wir uns selbst zu finden, ist das Thema der Chinesischen Medizin, des Qi Gong und nicht zuletzt auch der Sexuallehre.“
Sexualität ist auch ein Thema auf den 54. TCM Kongress Rothenburg vom 16.-20. Mai 2023.
Dr. Carlos Cobos Schlicht ist Sinologe und Qi Gong Lehrer in Frankfurt am Main. Er kennt hat einerseits die Klassiker der Chinesischen Medizin studiert und pflegt andererseits einen regen Austausch mit mehreren chinesischen Qi Gong Meistern.
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