Anfang Dezember berichtete die Internetplattform DocCheck über zwei amerikanische Studien, nach denen Kortisonspritzen ins Kniegelenk langfristig die Degeneration des Knorpels bei einer Arthrose eher verschlimmern, als sie aufzuhalten. In der Ende November 2022 abgelaufenen S2k-Leitlinie zur Behandlung von Kniegelenkarthrose ist diese Behandlung jedoch noch vorgesehen. Die AGTCM, Fachverband für Chinesische Medizin, nimmt die Studienergebnisse zum Anlass, auf integrative Behandlungsansätze mit Chinesischer Medizin hinzuweisen.
Dr. Karl Zippelius, Sportmediziner mit Spezialisierung in Traditioneller Chinesischer Orthopädie, behandelt seit vielen Jahren Leistungssportler. Er arbeitet schon sehr lange mit dem Österreichischen Institut für Sportmedizin (ÖISM) und mit dem Erstliga-Fußballverein SK Rapid zur Integration der TCM in den Sport. Die AGTCM hat den Experten um eine Einschätzung des Sachverhalts gebeten.
Hier die Stellungnahme von Dr. Karl Zippelius:
„Die Orthopäden, die ich kenne, würden langfristig nicht mehr mit Kortisonspritzen arbeiten, sondern Hyaluron injizieren, knorpelregenerierende arthroskopische Verfahren anwenden oder dazu raten, bei hohem Leidensdruck und ausgereizter konservativer Behandlung nicht zu lange mit der Kniegelenksersatz-Operation zu warten.
Bei hochgradigen Entzündungen ist die Kortison-Injektion jedoch akut und für kurze Zeit indiziert. Einerseits, um Schmerzen zu lindern und andererseits, um aggressive Entzündungsprozesse zu hemmen, die das Knorpelgewebe zusätzlich angreifen können.
Fingerspitzengefühl bei der Dosierung und Dauer der Anwendung sind aber dringend erforderlich, weil es bei zu langer Gabe bzw. Injektion von Kortison sowohl lokal als auch systemisch zu (schweren) Nebenwirkungen kommt. Dazu gehören auch degenerative Veränderung der Gewebe in Gelenken, wie sie in obigen Studien erwähnt werden.
Statt des Einsatzes von Kortison zur Bekämpfung entzündlich schmerzhafter Gelenksbeschwerden bei Arthrosen bietet die individuelle Herangehensweise der Chinesischen Medizin eine echte Alternative. Für die akute Entzündung des Gelenks auf Basis der Arthrose, die sich mit Erwärmung, Schwellung und Schmerz bemerkbar macht, gibt es verschiedene Ursachen. In erster Linie natürlich die lokale biomechanische Komponente, die nach der TCM zu sogenannter Qi- und Blutstase im Gelenksbereich und damit zu Stauungshitze führt. Diese lässt sich mit Akupunktur und Einreibungen mit kühlenden Kräuterextrakt-Salben auflösen, indem das Blut und das Qi bewegt und die lokale Hitze aus den Meridianen ausgeleitet wird.
Wichtig ist aus Sicht der TCM aber auch eine systemische Regulierung, wenn der Patient z. B. aufgrund seines Lebensstils zu Hitze neigt – was sich etwa in einer Neigung zur Gastritis oder / und Sodbrennen äußert. In diesem Fall gilt es, regulierend einzuwirken. Eine Ernährungsberatung würde dann den Verzicht auf scharfes Essen oder Getränke wie Alkohol, Kaffee oder Ingwertee empfehlen. Bei hoher Stress-Belastung kann ebenfalls Hitze auftreten. Hier gilt es, Stagnation durch angemessene Bewegung zu lösen sowie Stressoren zu reduzieren.
Darüber hinaus muss die biomechanische Belastung des Gelenks überprüft werden: Gibt es Achsenfehlstellungen, etwa durch X-Beine oder nach einem Knochenbruch? Oder sind Muskeln und Bänder schwach oder verletzt, so dass sich die Stabilität des Gelenkes durch gezielte Stärkung der Muskulatur mithilfe von Physiotherapie kompensieren lässt? Umgekehrt können auch starke Muskelverspannungen zu einer Fehlbelastung des Gelenks führen. Hier kann die Chinesische Medizin mit TuiNa, einer speziellen Massagetechnik, regulierend einwirken.
Erfreulicherweise wird Akupunktur bei Kniegelenk-Arthrose in der S2-Leitlinie bereits mit einer Kann-Empfehlung versehen. Seit der von den deutschen Krankenkassen finanzierten GERAC-Studie, die zeigte, dass Akupunktur bei Kniegelenkarthrose Schmerzen erfolgreich lindert, ist Akupunktur als Kassenleistung anerkannt. Eine spannende Frage zur wissenschaftlichen Abklärung wäre, ob Akupunktur und auch weitere TCM-Therapieformen, wie Kräutereinreibungen und TuiNa-Handtechniken über die reine Schmerzreduzierung hinaus auch einen Beitrag leisten können zur (partiellen) Regenerationen des Gelenkknorpels bei arthrotischer Gelenkveränderung. Denkbar wäre, dass Reparaturprozesse im Gelenk dann vom Körper initiiert werden (können), wenn das Gelenk über einen längeren Zeitraum hinweg reizfrei und damit auch schmerzfrei bleibt.
Massagen werden in der S2-Leitlinie nur im Rahmen einer Studie zur Spa-Therapie (zusammen mit Duschen, Schlamm- und Wasserbädern) erwähnt, sie sollten aber nicht unterbewertet bleiben. In der TCM-Behandlungsstrategie von Arthrosen spielt die TuiNa-Massage, neben der Akupunktur und der Kräutermedizin, ebenfalls eine zentrale Rolle. Die Datenlage bei Erstellung der Leitlinie im Jahr 2017 war zu heterogen, um eine Aussage zu dieser Therapieform zu treffen. Es wäre wünschenswert, wenn es dazu künftig auch belastbare klinische Studien gäbe.
Das Potential der TCM zur Behandlung von Arthrosen ist also bislang bei weitem noch nicht ausgeschöpft und die Beschäftigung damit, auch auf wissenschaftlicher Ebene, ist wünschenswert. Zum Wohle der Patienten und der Verbesserung des Gesundheitssystems.“
Stand: Dezember 2022
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